Motive und Einstellungen des ärztlichen Nachwuchses zur Allgemeinmedizin

Prof. Dr. med. Antonius Schneider, Institut für Allgemeinmedizin der Technischen Universität München (TUM), Klinikum rechts der Isar:

Seit über zehn Jahren zeichnet sich ein zunehmender Ärztemangel ab, vor allem im ländlichen und im hausärztlichen Bereich. Dies wird auf mehrere Faktoren zurückgeführt, wie zum Beispiel Landflucht, mangelnde Attraktivität der Patientenversorgung, unter anderem aufgrund von Überlastung oder aufgrund von Abwanderungen ins Ausland. Eine besondere Herausforderung stellt der Hausarztmangel dar, der unter anderem auch auf ein Imageproblem zurückgeführt wird. Dabei muss berücksichtigt werden, dass diese Entwicklung ein weltweites Phänomen der industrialisierten Nationen darstellt, beispielsweise auch in den USA, Australien, Schweiz und Norwegen. Problematisch ist der Mangel jedoch insbesondere im ländlichen Raum, da hier die Versorgung einzubrechen droht, nicht zuletzt aufgrund einer alternden Ärzteschaft, so dass bis 2020 schätzungsweise 52.000 Vertragsärzte ausscheiden. Das Institut für Allgemeinmedizin der TU München arbeitet gerade an Lösungen für eines der derzeit drängendsten Probleme des Gesundheitssystems: Wie ist es möglich, die hausärztliche Grundversorgung auf dem Land zu sichern?
Im Mittelpunkt unseres vom Bayerischen Ministerium für Umwelt und Gesundheit geförderten Forschungsprojekts zur Niederlassungsbereitschaft von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung Allgemeinmedizin stehen deshalb konkrete Forschungsfragen: Wie ist es zu erklären, dass heute unter jungen Medizinstudenten einerseits eine hohe Bereitschaft besteht, sich als Arzt auf dem Land niederzulassen, andererseits jedoch die Zahl der tatsächlichen Neuniederlassungen im steten Rückschritt begriffen ist? Welche Motivlagen schmälern die Bereitschaft für eine Niederlassung als Hausarzt in eigener Praxis? Welche befördern dies? Wie unterscheiden sich Motive und Wünsche in unterschiedlichen Phasen der Weiterbildung? Wo kippt die Motivation womöglich? Was medizin-soziologisch in diesem Rahmen natürlich immer auch verhandelt wird, ist die Frage danach, in welchen kulturellen Sinnzusammenhang die Praxis der (haus-) ärztlichen Profession heute eingebettet ist. Um der Komplexität dieser Fragen gerecht zu werden, entwickelt und erprobt das Institut für Allgemeinmedizin hierzu neue Formen der sozialwissenschaftlichen Methodentriangulation. Dabei kombinieren wir moderierte Fokusgruppendiskussionen mit der funktionalen Analyse narrativer Interviews sowie mit der Durchführung von Online-Befragungen. Mit unserem explorativen Forschungsdesign wollen wir neue Forschungsfragen generieren, um anhand unserer quantitativen Untersuchungen auch konkrete polit-regulatorische Antworten für die Gesundheitspolitik liefern zu können.
Darüber hinaus erfolgte eine Befragung von Studierenden zu Einstellung und Haltung zum hausärztlichen Beruf. Hier zeigte sich, dass insbesondere Frauen der Hausarztmedizin gegenüber aufgeschlossen sind, auch die Institutionalisierung des Fachs an den Universitäten spielt eine Rolle. Weitere qualitative Erhebungen sollen klären, unter welchen Bedingungen die Studierenden bereit sind, den hausärztlichen Beruf zu ergreifen. Dies spielt insbesondere vor dem Hintergrund der sogenannten „Feminisierung“ eine bedeutsame Rolle, da Strategien entwickelt werden müssen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf im haus- bzw. landärztlichen Bereich ermöglichen, um das Fach attraktiv zu gestalten.

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