Verwendung von Placebos, unspezifischen Therapien und professionelle Grundhaltungen bei Allgemeinmedizinern, Internisten und Orthopäden – eine bundesweite Arztbefragung

Prof. Dr. med. Antonius Schneider, Institut für Allgemeinmedizin der Technischen Universität München (TUM), Klinikum rechts der Isar:

Hintergrund und Ziel

Eine Reihe internationaler Befragungen belegt, dass niedergelassene Ärzte in nicht unerheblichem Umfang Placebos und unspezifische Therapien anwenden. Für niedergelassene Ärzte in Deutschland lagen bisher keine bundesweiten Daten vor. Es wurde untersucht, ob sich die Häufigkeit der Verwendung solcher Therapien zwischen verschiedenen Arztgruppen unterscheidet und ob es einen Zusammenhang mit ärztlich-professionellen Grundhaltungen gibt.

Methodik

Ein systematisch entwickelter vierseitiger Fragebogen wurde an eine bundesweite Zufallsstichprobe von jeweils 700 Allgemeinmedizinern, fachärztlich tätigen Internisten und Orthopäden versendet (Rücklaufquote 46%). Er umfasste Fragenblocks zu persönlichen und Praxismerkmalen, Verwendung reiner Placebos und unspezifischer Therapien, Haltung zu und Verwendung von komplementären Verfahren, sowie 13 Fragen zu Grundhaltungen.

Ergebnisse

46% der Allgemeinmediziner, 24% der Internisten und 17% der Orthopäden gaben an, im vergangenen Jahr mindestens einmal ein reines Placebo verwendet zu haben (p < 0,001). Die entsprechenden Zahlen für die Verwendung unspezifischer Therapien lagen bei 65%, 45% und 36% (p < 0,001). Während sich die Haltung zur Nutzung psychologischer Effekte und der Wunsch nach mehr Zeit für den Patienten nicht zwischen den Arztgruppen unterschieden, gab es bzgl. der meisten anderen Aspekte (z.B. Relevanz diagnostischer Unsicherheit, Vorbereitung auf Praxisrealität durch Facharztausbildung) deutliche Unterschiede. Multivariate Regressionsanalysen zeigen, dass neben der Facharztgruppe eine wissenschaftlich orthodoxe Grundhaltung zur Legitimität reiner Placebos mit einer geringen Placeboanwendungsrate einhergeht. Bei unspezifischen Therapien steht die eigene Überzeugung zur Wirksamkeit besonders im Vordergrund.

Schlussfolgerungen

Allgemeinmediziner wenden reine Placebos und unspezifische Therapien deutlich häufiger an als Internisten und Orthopäden. Dies erscheint angesichts der Ausgangsbedingungen in der Primärversorgung plausibel, da in der Allgemeinmedizin diagnostisch / therapeutisch mehr unsichere Situationen auftreten und körperliche Erkrankungen in geringer Intensität auftreten. Das ärztliche Selbstbild hat aber vermutlich sowohl auf die Verwendung von reinen Placebos und unspezifischen Therapien als auch auf das Antwortverhalten bei den von uns gestellten Fragen wichtige Auswirkungen.

Studienprotokoll zur Studie

Linde K, Friedrichs C, Alscher A, Blank WA, Schneider A, Fässler M, Meissner K. Use of placebos and nonspecific and complementary treatments by German physicians – rationale and development of a questionnaire for a nationwide survey. Forsch Komplementärmed 2013;20:361-367.