Diagnostik in der Hausarztpraxis

Prof. Dr. med. Antonius Schneider, Institut für Allgemeinmedizin der Technischen Universität München (TUM), Klinikum rechts der Isar:

Die Diagnostik ist eine zentrale Herausforderung in der hausärztlichen Praxis, denn in der Regel wenden sich die Patienten mit den ersten Symptomen ihrer Erkrankung an den Hausarzt. Hinter einem Symptom können sich jedoch zahlreiche Diagnosen verbergen, so dass es Aufgabe des Hausarztes ist, aus der Vielzahl der in Frage kommenden Erkrankungen die richtige zu erkennen. Zudem kommen die Patienten häufig in den ersten Stadien der Erkrankung, so dass zum Zeitpunkt der Erstpräsentation unter Umständen noch gar keine klare Diagnose gestellt werden kann. Man spricht hier von einer diagnostischen Unschärfe im hausärztlichen Arbeitsbereich, wie es Robert Braun, ein Pionier der deutschsprachigen allgemeinmedizinischen Forschung, bereits in den 70ern trefflich formuliert hat. Die hausärztliche Kunst ist es dabei, den „abwendbar gefährlichen Verlauf“ rechtzeitig zu erkennen, gleichzeitig aber auch ökonomisch zu arbeiten, denn zahlreiche gesundheitliche Störungen verschwinden auch wieder von alleine – diesem wird durch ein „abwartendes Offenlassen“ Rechnung getragen (engl.: watchful waiting). Durch diese Balance soll einerseits Ressourcen schonend gearbeitet werden, andererseits soll der Patient auch vor Überdiagnostik geschützt werden.

Dabei ist auch bedeutsam, dass die einzelnen Erkrankungen selbst mit einer geringeren Häufigkeit in der Hausarztpraxis auftreten als im klinischen Setting. Die Vortestwahrscheinlichkeiten der einzelnen Erkrankungen sind gering, sie liegen teilweise unter 1% - man spricht hier klassischerweise vom Niedrigprävalenzbereich. Damit einhergehend sind die positiven Vorhersagewerte (=Wahrscheinlichkeit, dass jemand mit positivem Testergebnis auch wirklich krank ist) geringer als im Krankenhaus, dafür sind jedoch die negativen Vorhersagewerte (=Wahrscheinlichkeit, dass jemand mit negativem Testergebnis auch wirklich gesund ist) höher. Dieser Sachverhalt wird durch das Bayes´sche Theorem beschrieben. Letztlich ist entscheidend, dass im hausärztlichen Bereich mit gestufter Diagnostik gearbeitet wird, um testökonomisch zu arbeiten. Darüber hinaus spielen auch psychische Aspekte bei der Präsentation von Beschwerden eine große Rolle, so dass dies ebenfalls in die diagnostische Entscheidungsfindung einbezogen werden muss (ganzheitlicher Ansatz, bio-psycho-soziales Modell).

Zahlreiche Aspekte der Diagnostik im Niedrigprävalenzbereich sind bislang wenig untersucht. Am Institut für Allgemeinmedizin der TU München werden mehrere Studien zu diesem Thema durchgeführt, unter anderem diagnostische Studien zur Bedeutung von klinischen Zeichen und Symptomen und zur diagnostischen Genauigkeit von diagnostischen Tests (im engeren Sinne exhaliertes fraktioniertes Stickstoffmonoxid bei Verdacht auf Asthma bronchiale). Zudem wird untersucht, welche Bedeutung die psychosomatischen Aspekte für die Diagnostik haben, und wie Hausärzte generell mit dem Phänomen „Diagnostische Unsicherheit“ umgehen, die systemimmanent im hausärztlichen Setting höher ist als im klinischen Alltag.

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