Wie Chemotherapie das Überleben von älteren Patientinnen und Patienten mit lokal fortgeschrittenem Darmkrebs beeinflusst

Signet Jahresbericht 2024

Abstract

Bei Dickdarmkrebs mit Befall der Lymphknoten (Tumorstadium III) empfehlen die deutschen wie auch die internationalen Leitlinien eine adjuvante, d. h. unterstützende Chemotherapie nach operativer Entfernung des Tumors. Allerdings sind die Empfehlungen für ältere Patientinnen und Patienten über 75 Jahre nach wie vor inkonsistent, was teilweise darauf zurückzuführen ist, dass diese Gruppe in randomisierten kontrollierten klinischen Studien unterrepräsentiert ist. Vor diesem Hintergrund untersuchte das Bayerische Krebsregister am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) gemeinsam mit Klinikerinnen und Klinikern im Jahr 2024 in einer bundesweiten Registerstudie den Einfluss einer adjuvanten Chemotherapie auf das Langzeitüberleben von älteren Patientinnen und Patienten. Das Ergebnis: Auch diese Gruppe profitiert deutlich von einer adjuvanten Chemotherapie.

Ein weiterer Jahresberichts-Artikel thematisiert ebenfalls Dickdarmkrebs, legt den Fokus allerdings auf alle berechenbaren Qualitätsindikatoren und vergleicht den Erfüllungsgrad der Qualitätsindikatoren zwischen verschiedenen medizinischen Leistungserbringern wie Kliniken und Praxen sowie zwischen dem Freistaat Bayern und der Bundesrepublik Deutschland.

Hintergrund

Dickdarmkrebs ist in Deutschland die zweithäufigste Krebsart bei Frauen und die dritthäufigste bei Männern. Bei Frauen und Männern ist Dickdarmkrebs zudem die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache (Robert Koch-Institut 2022). Die Wirksamkeit einer adjuvanten, d. h. unterstützenden, Chemotherapie bei Patientinnen und Patienten mit Dickdarmkrebs im Tumorstadium III, d. h. mit Lymphknotenbefall, konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden, insbesondere der günstige Effekt auf die Verlängerung der Überlebenszeit nach einer Erkrankung. Für Erkrankte ab 75 Jahren weisen die aktuellen Leitlinien jedoch darauf hin, dass es hierzu noch nicht genügend Nachweise gibt, um routinemäßig eine adjuvante Chemotherapie nach Tumorentfernung zu empfehlen (S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom 2019). Demgegenüber steht die Tatsache, dass in Deutschland etwa 38 % der neu diagnostizierten Dickdarm-Krebsfälle bei älteren Menschen über 75 Jahre auftreten. Jedoch sind ältere Patienten in entsprechenden Interventionsstudien durchweg unterrepräsentiert, da nur 1–5 % der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer 75 Jahre oder älter sind. Dieser geringe Anteil führt zu erheblichen Lücken in der Evidenz zur Wirksamkeit von Krebsbehandlungen bei Älteren – nicht nur bei Darmkrebs.

In einer großen, bevölkerungsbasierten Studie, die Daten aus den klinischen Krebsregistern der Bundesländer aus den Jahren 2000 bis 2020 nutzte, untersuchte das Bayerische Krebsregister gemeinsam mit dem Zentrum für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT) die Auswirkungen einer adjuvanten Chemotherapie bei Patientinnen und Patienten mit Dickdarmkrebs im Tumorstadium III auf das Gesamtüberleben. Dabei wurde eine umfangreiche Kohorte von 41.630 Fällen – darunter 16.045 Patienten im Alter ab 75 Jahre – analysiert, um wertvolle Einblicke in die Wirksamkeit der adjuvanten Behandlung für diese wachsende Bevölkerungsgruppe zu gewinnen (Langheinrich et al., in Einreichung). Zur Kontrolle eines sogenannten Immortal-time-Bias (Verzerrung), der das Überleben bei adjuvant therapierten Patientinnen und Patienten im Vergleich zu Patientinnen und Patienten ohne Chemotherapie überschätzt, und zur Berücksichtigung des unter nicht-chemotherapierten Patientinnen und Patienten vermutlich häufigeren Vorkommens von Begleiterkrankungen wurden in der Hauptanalyse alle Patientinnen und Patienten ausgeschlossen, die innerhalb von zwei Monaten nach Operation verstorben sind. Um den Effekt einer möglichen Verzerrung weiter zu prüfen, wurde in einer Sensitivitätsanalyse eine identische Analyse unter Erweiterung des Zeitraumes auf sechs Monate nach Operation durchgeführt, d. h. hier wurden alle Patientinnen und Patienten ausgeschlossen, die innerhalb eines halben Jahres nach Operation verstorben sind.

Ergebnisse

Von den an Dickdarmkrebs im Tumorstadium III erkrankten Personen waren 53 % Männer und 47 % Frauen, mit einem Durchschnittsalter von 72 Jahren. Von ihnen erhielt etwa die Hälfte eine adjuvante Chemotherapie. Der Anteil der Patientinnen und Patienten, die eine solche Therapie erhielten, variierte erheblich je nach Alter: Betroffene unter 75 Jahren erhielten zu 64 % eine Chemotherapie, verglichen mit nur 28 % der Erkrankten über 75 Jahre (vergleiche Abb. 1). Während es bei den 75- bis 79-Jährigen noch 43,5 % sind, beträgt der Anteil bei den mindestens 85-Jährigen nur noch 5,3 %.

Die Abbildung 1 zeigt für verschiedene Altersgruppen den Anteil der mit adjuvanter Chemotherapie behandelten Patienten. Dieser Anteil sinkt mit zunehmendem Alter bei Diagnose. Während bei den unter 60-Jährigen der Anteil fast 70 % beträgt, liegt er bei den 75-79-Jährigen bereits bei nur 43,5 %, bei den 80-84-Jährigen bei 21 % und bei über 85-Jährigen nur noch bei 5 %.

Abbildung 1: Anteile der Patientinnen und Patienten mit adjuvanter Chemotherapie nach Operation eines Dickdarmkrebses mit Lymphknotenbefall (Tumorstadium III) in verschiedenen Altersgruppen


Überleben nach Chemotherapie bei jüngeren Patientinnen und Patienten unter 75 Jahren

Unter den jüngeren Patientinnen und Patienten betrug die 5-Jahres-Überlebensrate nach der Behandlung mit adjuvanter Chemotherapie 76 %, bei nicht behandelten Patientinnen und Patienten lebten nach 5 Jahren noch 65 % (siehe Abb. 2). In einer sogenannten multivariablen Überlebensanalyse unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Patienten- und Tumoreigenschaften in der Gruppe der Behandelten und Nichtbehandelten (z. B. Geschlecht, Alter, histologischer Typ, Tumorlokalisation, Tumorgröße, Anzahl befallener Lymphknoten, Differenzierungsgrad des Tumors) ergab sich in dieser Altersgruppe eine signifikante Verringerung des Sterberisikos um 29 % für die Patientinnen und Patienten mit Chemotherapie gegenüber jenen ohne Chemotherapie (Hazard Ratio HR 0,71, p < 0,001).

Abbildung 2 vergleicht die mit der Kaplan-Meier-Methode geschätzten Überlebenskurven, d. h. die kumulativen Überlebensraten im Zeitraum bis 5 Jahre nach Diagnose, zwischen den Patientinnen und Patienten mit und ohne adjuvanter Chemotherapie. Für die unter 75-Jährigen wird eine 5-Jahres-Überlebensrate von 76 % nach Chemotherapie und von 65 % bei Patientinnen und Patienten ohne Chemotherapie gezeigt.

Abbildung 2: Überlebensraten der Patientinnen und Patienten im Alter von unter 75 Jahren, mit und ohne adjuvante Chemotherapie


Überleben nach Chemotherapie bei älteren Patientinnen und Patienten über 75 Jahre

Bei den älteren Patientinnen und Patienten lag die 5-Jahres-Überlebensrate nach Chemotherapie bei 62 %, verglichen mit 42 % bei den Patientinnen und Patienten ohne Chemotherapie (siehe Abb. 3). Aus der multivariablen Überlebensanalyse resultierte eine ebenfalls signifikante, noch deutlichere Verringerung des Sterberisikos um 32 % bei den behandelten Patientinnen und Patienten im Vergleich zu den Nichtbehandelten (Hazard Ratio HR 0,68, p < 0,001).

Der Vorteil einer adjuvanten Chemotherapie auf das Gesamtüberleben bei älteren Erkrankten wurde in allen Altersgruppen (in 5-Jahres-Intervallen, also bei 75-79, 80-84 und bei den mindestens 85-Jährigen) und in weiteren Untergruppen, u. a. mit unterschiedlicher Tumorgröße oder Anzahl der befallenen Lymphknoten, bestätigt.

In einer zusätzlichen Sensitivitätsanalyse, bei der alle innerhalb eines halben Jahres nach Operation Verstorbenen ausgeschlossen wurden, verringerte sich der Überlebensvorteil der Patientinnen und Patienten mit adjuvanter Therapie gegenüber den Nicht-therapierten nur geringfügig.

Bei der Interpretation der Ergebnisse muss natürlich berücksichtigt werden, dass es sich um eine retrospektive Analyse von Registerdaten handelt, bei der nicht alle potenziellen Einflussfaktoren, wie z. B. Begleiterkrankungen, Leistungszustand und Lebensstil, berücksichtigt werden konnten. Diese Faktoren können die Therapieentscheidung und das Überleben beeinflussen und so den beobachteten Zusammenhang zwischen Chemotherapie und besserem Überleben verzerren.

Abbildung 3 vergleicht die mit der Kaplan-Meier-Methode geschätzten Überlebenskurven, d. h. die kumulativen Überlebensraten im Zeitraum bis 5 Jahre nach Diagnose, zwischen den Patientinnen und Patienten mit und ohne adjuvante Chemotherapie. Die entsprechenden Überlebensraten betragen für die mindestens 75-Jährigen 62 % und 42 % und zeigen somit einen deutlichen Überlebensvorteil durch die Chemotherapie.

Abbildung 3: Überlebensraten der Patientinnen und Patienten im Alter ab 75 Jahren, mit und ohne adjuvante Chemotherapie


Fazit

Diese bevölkerungsbasierte Analyse von Patientinnen und Patienten mit Dickdarmkrebs im Tumorstadium III zeigt erhebliche Unterschiede beim Einsatz einer adjuvanten Chemotherapie zwischen den Altersgruppen, insbesondere einen deutlich niedrigeren Anteil dieser Behandlung bei Patientinnen und Patienten über 75 Jahre. Bei diesen Personen konnte jedoch – wie bei den jüngeren unter 75 Jahren – ein signifikanter Überlebensvorteil durch die adjuvante Chemotherapie beobachtet werden.

Maßnahmen und Ausblick

Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer sorgfältigen Bewertung der adjuvanten Chemotherapie als Behandlungsoption für Patientinnen und Patienten ab 75 Jahren, da die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung darauf hindeuten, dass sie einen Überlebensvorteil bietet. Selbstverständlich ist im konkreten Einzelfall eine individuelle Betrachtung der Begleiterkrankungen, des Allgemeinzustandes, der Nebenwirkungen, der Lebensqualität und der persönlichen Präferenzen der erkrankten Person erforderlich

Literatur

  • Survival Benefit of Adjuvant Chemotherapy in Elderly Patients with UICC Stage III Colon Carcinoma: A 20-Year Population-Based German Cohort Study
    Langheinrich M, Gerken M, Robers G, Hansinger J, Franke B, Lacruz E, Müller-Nordhorn J, Schneider C, Reinwald F, Stang A, Sackmann A, Zeißig S, Klinkhammer-Schalke M, Kersting S, Voelkel V, Benz S, in Einreichung
  • Krebs in Deutschland für 2019/2020, 14. Ausgabe, Robert Koch-Institut, Berlin 2023
  • S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom, Langversion 2.1, 2019

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