SARS 2003: Ein wichtiger Erfolg der Bevölkerungsmedizin bei der Seuchenbekämpfung

Mitte Februar 2003 lagen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Informationen über den Ausbruch einer ansteckenden, akuten Atemwegserkrankung unklarer Ursache in einigen asiatischen Ländern vor. Zur Vereinheitlichung der Erfassung von SARS-Fällen gab die WHO gleichzeitig mit dem Aufruf zur weltweiten Überwachung eine Falldefinition heraus, die sich auf Grund mangelnder Kenntnis über den Erreger auf typische klinische Symptome und mögliche Übertragungswege – zum Beispiel den Kontakt zu SARS-Patienten oder den Aufenthalt in Risikoregionen – bezog. Die WHO sprach am 12. März 2003 eine globale Seuchenwarnung aus.

Die erste globale Epidemie des 21. Jahrhunderts

Vom 1. November 2002 bis zum Ende des Ausbruchs im Juli 2003 lagen der WHO weltweit Meldungen von 8.437 wahrscheinlichen SARS-Erkrankungen vor. Betroffen waren insgesamt 32 Länder weltweit. Vorschläge zur Einleitung der Labordiagnostik zum Ausschluss bzw. Nachweis von SARS erarbeitete die WHO bzw. in Deutschland das Robert Koch-Institut (RKI). Als ursächliche Erreger von SARS wurden bisher unbekannte Coronaviren experimentell bestätigt. Behandlungsversuche mit verschiedenen Antibiotika, Virostatika und Steroiden haben keine große Wirkung gezeigt. Hilfreich waren allgemeine unterstützende Maßnahmen, die in der Regel eine Intensivpflege voraussetzen. Generell lässt sich feststellen, dass Patienten über 40 Jahre mit anderen Erkrankungen in höherem Maße zum schweren Verlauf der Erkrankung tendieren. Von den Erkrankten verstarb jeder zehnte, im höheren Lebensalter verstarb jeder zweite Erkrankte. Für unter 25- Jährige lag die Sterberate dagegen bei weniger als einem Prozent. SARS verdeutlichte die globale Bedeutung von Epidemien, die nicht vor Ländergrenzen Halt machen. Zur klassischen Wechselwirkung zwischen Erreger, Wirtsorganismus und örtlichem Umfeld sind heute die geänderten globalen Bedingungen für die Verbreitung übertragbarer Krankheiten hinzugetreten. Insbesondere Flugzeuge stellen einen neuen Vektor bei der Übertragung dar. Damit sind erstmals in der menschlichen Geschichte epidemische Ausbreitungen innerhalb von Stunden über Tausende von Kilometern möglich. Eine gesundheitliche Bedrohung war damit auch für die bayerische Bevölkerung gegeben. Potenzielle Eintrittsorte von Erkrankungs- bzw. Verdachtsfällen waren in erster Linie die bayerischen und außerbayerischen Flughäfen.

Schutzmaßnahmen für die bayerische Bevölkerung

Als Sofortmaßnahme wurden SARS-Verdachtsfälle in Rücksprache mit dem RKI in die laufende infektionsepidemiologische Überwachung aufgenommen, welche über Bayern hinaus auch in anderen Bundesländern mit identischen Falldefinitionen zum Tragen kam. Damit war eine zeitnahe Lagebeurteilung für Deutschland und insbesondere für Bayern möglich. Die infektionsepidemiologische Task Force am LGL stand wie immer den Gesundheitsverwaltungen vor Ort wie auch den übergeordneten Stellen als Ansprechpartner zur Verfügung. Darüber hinaus wurde an beiden Standorten ein Bürgertelefon eingerichtet, welches der bayerischen Bevölkerung für Anfragen zur Verfügung stand.

Planspiel für den Ernstfall

Mit besonderen Brennpunkten wie z.B. den Flughäfen oder Messeveranstaltern nahm das LGL im Vorfeld Kontakt auf, um eventuell notwendige Maßnahmen unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundes abzugleichen. Eine spezifische Labordiagnostik zur Abklärung von SARS-Verdachtsfällen wurde rasch aufgebaut. Das LGL führte ein Planspiel durch, welches verschiedene Szenarien einer Alarmierung bei SARS-Verdacht an bayerischen Flughäfen zum Gegenstand hatte. Durch dieses Planspiel konnten einerseits Informationen ausgetauscht und Abläufe durchgesprochen werden, andererseits auch strukturelle Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert werden.

Risikobewertung

Zusätzlich nahmen die Experten des LGL eine genauere Risikobewertung vor. Die Bewertung des gesundheitlichen Risikos der einzelnen an SARS Erkrankten und des Risikos für die Bevölkerung, an SARS zu erkranken, bildet zusammengenommen die Grundlage für die Risikobewertung aus bevölkerungsmedizinischer Sicht. Die Erkrankungen in Deutschland waren auf Einzelfälle beschränkt.

Wären entsprechend einer epidemiologischen Dynamik wie in Singapur – unter Einwirkung seuchenhygienischer Maßnahmen – 0,05 Promille der bayerischen Bevölkerung erkrankt, wäre mit etwa 600 Erkrankungen und mit etwa 60 Todesfällen zu rechnen gewesen. Verschiedene Szenarien wurden statistisch modelliert. Diese Modelle belegten, wie es nur durch ein konsequentes und zeitnahes Isolieren der Erkrankten sowie Quarantänemaßnahmen bei Erkrankungsverdacht möglich ist, die unkontrollierte Ausbreitung dieser Krankheit zu verhindern. Einschränkend ist zu sagen, dass die Virulenz des Erregers durch mehrfache Passagen in menschliche Wirtsorganismen verändert werden und dass die tatsächlichen epidemiologischen Kennzahlen dadurch beeinflusst werden könnten.

Bester Schutz im Verdachtsfall

Bei der Überlegung, welche Maßnahmen bei SARS-Verdacht sinnvoll sind, mussten der Hauptübertragungsweg des Virus, die Tenazität, die Abtötungsmöglichkeiten und die Praktikabilität von Schutzmaßnahmen bedacht werden. Ziel war, dass z.B. bei einem Verdachtsfall im Luftverkehr einerseits die anderen Passagiere oder weitere Kontaktpersonen geschützt werden müssen, andererseits durch die Weiterbenutzung des Flugzeugs keine Gefährdung der nächsten Passagiere bzw. des Flugpersonals erfolgen darf.

Die Analyse der wissenschaftlichen Literatur legte nahe, dass SARS vorwiegend über Tröpfcheninfektion übertragen wird. Im Vergleich zu anderen bekannten humanen Coronaviren zeigte sich der SARS-Erreger stabiler. Trotz dieser Tatsache musste bei der Anordnung von etwaigen Desinfektions- oder anderen Schutzmaßnahmen eine Langzeitgefährdung durch kontaminierte Gegenstände in der Umgebung des Verdachtsfalles nicht zwingend berücksichtigt werden. Denn SARS ist als behülltes Virus insgesamt relativ empfindlich, und Stabilität darf nicht mit Infektiosität gleichgesetzt werden. Die bayerische Risikobewertung mit den auf Basis der besten wissenschaftlichen Evidenz abgeleiteten Handlungsempfehlungen wurde öffentlich gemacht und fand bundesweit positives Echo.

Auf zukünftige Gefahren vorbereitet sein

Die bisherigen Erkenntnisse legen nahe, dass die Epidemie nur durch das entschiedene Handeln der Gesundheitsbehörden im Sinne eines Seuchenschutzes unter Kontrolle zu bringen war. Aus Sicht des Seuchenschutzes können abhängig von der epidemiologischen Situation über die derzeitig geltenden Empfehlungen hinausgehend verschiedene zusätzliche Maßnahmen sinnvoll sein.

Zur Unterstützung der lokalen Maßnahmen der Behörden für Gesundheit, Veterinärwesen, Ernährung und Verbraucherschutz wurde die am LGL eingerichtete Task Force weiter geführt und wird in Ihrer Effektivität durch weitere Vernetzung zu anderen Institutionen gestärkt werden. Diese soll organisiertes, umsichtiges Handeln durch Zugriff auf spezifische fachliche Kompetenzen auch in Zukunft unterstützen.

Im Besonderen betrifft dies neben der allgemeinen fachlichen Beratung das Management der Diagnostik, die übergeordnete Lagebeurteilung und situationsgebunden die zeitnahe Ausbildung von Kompetenznetzen. Epidemische Infektionskrankheiten sind auch in Zukunft möglich. Dies kann auch ein Wiederaufleben der SARS-Epidemie beinhalten. Die gute Vorbereitung der notwendigen Laborkapazitäten und bevölkerungsmedizinischen Maßnahmen ist die wichtigste Schutzmaßnahme, die der Öffentliche Gesundheitsdienst beitragen kann.

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