Zweiter bayerischer Psychiatriebericht veröffentlicht
Abstract
Psychische Störungen betreffen viele Menschen. Sie sind oft mit sozialen Faktoren wie Armut, Gewalt- und Diskriminierungserfahrung und Einsamkeit verknüpft. Studien zufolge haben psychische Störungen in den letzten Jahren zugenommen. Der zweite bayerische Psychiatriebericht wurde vom Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) fachlich erstellt und 2024 an den Landtag übermittelt. Bei etwas mehr als 2,9 Mio. gesetzlich Versicherten in Bayern lag 2022 die Diagnose einer psychischen Störung vor, darunter etwas mehr als 302.000 Kinder und Jugendliche.
Hintergrund
Das LGL wurde vom Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention mit der fachlichen Erstellung der Psychiatrieberichte gemäß dem Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz Art. 4 betraut. Bei der Berichterstellung wird das LGL durch einen ehrenamtlichen Beirat beratend begleitet. Neben epidemiologischen Basisdaten zur psychischen Gesundheit der Bevölkerung Bayerns bildet der Bericht die psychiatrische, psychotherapeutische und psychosomatische Versorgung (ambulant, stationär und komplementär) ab. Zentrale Datengrundlage für den Bericht sind neben den amtlichen Statistiken und den Daten der Sozialversicherungen (Rentenversicherung, Krankenkassen, etc.) die Abrechnungs- und Versorgungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und der bayerischen Bezirke (als Träger der überörtlichen Sozialhilfe). Die Daten waren vorwiegend die des Jahres 2022. Inzwischen liegen auch Daten für das Jahr 2023 vor; wobei insgesamt keine wesentliche Änderung der ambulanten Diagnosen zu verzeichnen ist. Berichtet werden auch die Ergebnisse eines im Jahre 2023 erstellten Gutachtens zur psychischen Krisen- und Notfallversorgung in Bayern.
Altersübergreifende Eckdaten zur psychischen Gesundheit in Bayern
Deutschlandweit zeigt in Studien etwa jeder vierte Heranwachsende psychische Auffälligkeiten und etwa ein Drittel der Erwachsenen leidet im Laufe eines Jahres an einer klinisch relevanten psychischen Störung. Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) zeigen, dass 2022 bei etwas mehr als 2,9 Mio. gesetzlich Versicherten in Bayern in der ambulanten Versorgung in mind. zwei Quartalen die Diagnose einer psychischen Erkrankung vorlag, darunter etwas mehr als 302.000 Kinder und Jugendliche. Insgesamt entspricht dies etwa einem Viertel der gesetzlich Versicherten in Bayern. Rechnet man die Personen mit, die 2022 diesbezüglich nur (mindestens) einmal ambulant in Behandlung waren, so erhöht sich die Anzahl auf rund vier Mio. gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten in Bayern. Wie auch im ersten Psychiatriebericht zeigt sich beim Vergleich der einzelnen Altersgruppen (Rate je 100.000 Einwohner), dass sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen der Anteil der Versicherten mit einer psychischen Erkrankung mit dem Alter zunimmt. Beim Prävalenzanstieg bei den Kindern ab 5 Jahren (insbesondere bei den Jungen) spielen weiterhin die Sprachentwicklungsstörungen, Lese- und Rechtschreibstörungen und die Verhaltens- und emotionalen Störungen, darunter insbesondere Hyperkinetische Störungen (F90), eine große Rolle.
Abbildung: Ambulante Diagnosen (F00-F99) nach Alter und Geschlecht, Bayern 2022
Anzahl der Patientinnen und Patienten mit einer psychischen Störung je 100.000 Patienten
Datenquelle: KVB
Im Jahr 2022 gab es in Bayern 1.811 Suizide. Im Vergleich zum Vorjahr zeigt sich ein Anstieg um gut 13 %. Zwei Drittel der Suizide entfallen auf Männer. Unklar ist bisher die Entwicklung bei den assistierten Suiziden, eine valide Erfassung muss noch aufgebaut werden.
Psychische Störungen haben zugenommen
Studiendaten zeigen, dass sich mit dem Beginn der Corona-Pandemie das psychische Befinden von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen verschlechtert hat. Depressionen und Angsterkrankungen haben zugenommen. Es ist davon auszugehen, dass die pandemiebedingten Kita- und Schulschließungen, die Reduktion sozialer Kontakte, der Wegfall von Hobbies und die Reduktion körperlicher Aktivität die psychische Gesundheit negativ beeinflusst hat. Hinzu kommt, dass die pandemiebedingte Belastungssituation durch weitere Krisen wie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die Finanz- und Energiekrise oder die Auswirkungen des Klimawandels verstärkt wird.
Großen Einfluss auf die psychische Gesundheit haben soziale Bedingungen wie Armut, Wohnungs- und Arbeitslosigkeit, schwierige Arbeitsverhältnisse, Alleinerziehen, elterliche psychische Erkrankungen, Gewalt- und Diskriminierungserfahrung sowie Migration und Einsamkeit. Hier müssen die präventiven Bemühungen ansetzen. In Bayern verzeichnen die vertragsärztlichen Abrechnungsdaten bereits seit längerem einen Anstieg der Patientinnen und Patienten mit einer Diagnose aus der Gruppe der psychischen Störungen (F00–F99). Es ist davon auszugehen, dass der Anstieg bei den vertragsärztlichen Abrechnungsdaten bis vor Beginn der Corona-Pandemie keinen Anstieg der Erkrankungen widerspiegelt, vielmehr wurden mehr Erkrankungen erkannt und behandelt.
Fazit
Die Psychiatrieberichterstattung ist, wie auch die Gesundheitsberichterstattung im Allgemeinen, ein wichtiges Instrument der wissenschaftlichen Politikberatung und bildet eine wichtige Grundlage für die Gesundheitsplanung. Sie liefert aufbereitete und kontextualisierte Daten für die Planung von Maßnahmen und Entwicklung von Zielvorstellungen. Der Psychiatriebericht benennt unterschiedliche Herausforderungen im Handlungsfeld psychische Gesundheit:
- Datenlage verbessern
- Transparenz und Koordination der Angebote verbessern
- Prävention weiter ausbauen
- Fachkräftemangel bekämpfen
- Stigmatisierung abbauen
Damit der Bericht seine politische Steuerungswirkung entfalten kann, ist es von großer Bedeutung, dass die Ergebnisse in den relevanten Politikfeldern wie auch unter den Akteuren des Gesundheitswesens und nicht zuletzt in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Die Berichtergebnisse müssen in gemeinsam vereinbarte und gemeinsam verfolgte Ziele überführt und in Handlungsprogramme übersetzt werden. Der nächste Bericht wird 2027 vorgelegt.



