Expositions- und Risikoabschätzung für Bisphenol A (BPA)

Bisphenol A (BPA) wird seit über 50 Jahren im großtechnischen Maßstab hergestellt. Die Verarbeitung von BPA erfolgt hauptsächlich zu Polycarbonat und Epoxidharzen. Hauptanwendungen beruhen auf Polycarbonat, dem vernetzten BPA (Polymer). Insbesondere CDs, Armaturen und Plastikteile im Auto, Haushaltsgegenstände, Nahrungs- und Getränkeverpackungen aber auch zahlreiche Medizinprodukte bestehen aus Polycarbonat. Auch Epoxidharze, Kleber und viele Do-it-yourself-Produkte enthalten BPA. Nahrungsmittel- und Getränkedosen werden teilweise innen mit einem BPA-haltigem Epoxidharz überzogen.
Die derzeitige weltweite Produktionsmenge von Bisphenol A beträgt mehrere Millionen Tonnen pro Jahr, wobei ein steigender Trend prognostiziert wird ([1], aufgerufen am 12.06.2025).

Die Substanz hat eine geringe akute Giftigkeit. Es gibt keine Hinweise auf eine krebsauslösende Wirkung durch BPA. BPA gehört aber zu einer Gruppe von Substanzen, die hormonähnlich wirken können. Sie werden wissenschaftlich als „endokrine Disruptoren“ bezeichnet. Diese wirken ähnlich wie z. B. das körpereigene Hormon Östrogen und können beispielsweise eine vergrößerte Prostata, geringe Spermienkonzentration oder eine verfrühte Pubertät hervorrufen. Für BPA sind diese Effekte im Menschen aber bislang noch nicht eindeutig nachgewiesen.

Im menschlichen Körper wird Bisphenol A schnell in ein Stoffwechselprodukt umgewandelt, das die östrogenartige Wirkung nicht mehr aufweist. Dieses Umwandlungsprodukt wird sehr effizient über die Nieren mit dem Harn ausgeschieden [2, 3].

Exposition

Die Aufnahme von Bisphenol A erfolgt hauptsächlich über die Nahrung und insbesondere durch Verzehr von Nahrungsmitteln, die in mit Epoxidharz beschichteten Konservendosen aufbewahrt werden. Der Übertritt (Migration) von nicht polymerisiertem BPA in die Nahrung ist in mehreren Studien belegt. Mittlerweile wurden gesetzliche Regulierungsmaßnahmen getroffen, wie zum Beispiel 2018 eine Beschränkung des spezifischen Migrationswertes von u.a. Konservendosen von 0,6 mg/kg Lebensmittel auf 0,05 mg/kg Lebensmittel (Verordnung (EU) 218/213) und bereits 2011 ein Verbot von Bisphenol A in einigen Produkten für Säuglinge (Verordnung (EU) Nr. 10/2011). Die aktuellste Abschätzung der Exposition der Bevölkerung in Europa über die Ernährung wurde von der European Food Safety Authority (EFSA) 2015 auf der Basis von Daten, die hauptsächlich 2008-2012 erhoben wurden, abgegeben. Die Schätzung ergab eine Exposition von 0,1-0,4 µg/kg Körpergewicht (KG) und Tag für Erwachsene und 0,1-0,9 µg/kg KG und Tag für Säuglinge und Kinder [4]. Aufgrund der getroffenen Reduktionsmaßnahmen ist davon auszugehen, dass die Exposition mit der Zeit gesunken ist.

Ergebnisse aus dem Human-Biomonitoring (HBM) lassen ebenfalls auf eine geringere Exposition schließen, wobei hier sogar andere Quellen außer Lebensmittel, wie Hausstaub oder mit BPA (als Farbentwickler) behandeltes Papier (Thermopapier; seit Anfang 2020 ist BPA in Thermopapier in der EU verboten) mit eingeschlossen sind.

Da BPA sehr effizient zu fast 100 % über den Harn ausgeschieden wird, können Urinproben im Rahmen von HBM-Studien sehr gut für die Bestimmung der tatsächlichen durchschnittlichen Aufnahme an BPA genutzt werden. Deshalb hat auch das LGL bereits 2007 bis 2011 entsprechende Studien durchgeführt und bei Erwachsenen BPA-Konzentrationen im Urin von 0,3-9,3 µg/l (Median 1,2 µg/l) ermittelt [5, 6]. In einer deutschlandweiten Studie wurden bei Jugendlichen im Zeitraum von 2014-2017 im Mittel Gehalte von ca. 2 µg/l an Gesamt-Bisphenol A im Urin nachgewiesen, wobei diese im Vergleich zum Zeitraum 2003-2006 um 26 % gesunken waren [7]. Weltweit durchgeführte Studien zeigten Werte in einem ähnlichen Bereich [6]. BPA-Gehalte im Urin von 0,3-9,3 µg/l, wie sie in Bayern festgestellt wurden, entsprechen bei Erwachsenen in etwa BPA-Aufnahmen von 0,03-0,23 µg/kg Körpergewicht, die demnach geringer liegen als die Abschätzungen der EFSA von 2015 ergaben.

Die auf diese Weisen bestimmten Aufnahmemengen können anschließend mit entsprechenden toxikologischen Richtwerten wie dem TDI (lebenslang duldbare tägliche Aufnahme) der EFSA oder vergleichbaren Richtwerten anderer Organisationen verglichen und zur Bewertung des gesundheitlichen Risikos genutzt werden.

Wie hoch ist das Risiko?

Die aktuellsten Abschätzungen der toxikologischen Effekte von Bisphenol A stammen aus 2023. Hier hat die EFSA die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) um den Faktor 20.000 im Vergleich zum TDI von 4 µg/kg Körpergewicht pro Tag aus 2015 auf 0,2 ng/kg KG und Tag abgesenkt [8]. Diese starke Absenkung beruht in erster Linie auf einer neu erschienenen Studie in Mäusen, bei der nach Exposition gegenüber BPA während der Trächtigkeitsphase Hinweise auf ein vermehrtes Vorkommen von bestimmten Immunzellen in den Jungtieren beschrieben wurden. Allerdings wurde dieser Effekt nicht in Zusammenhang mit gesundheitlichen Auswirkungen auf die Mäuse untersucht. Die Bewertung der EFSA hat zahlreiche kritische Kommentare von internationalen Bewertungsorganisationen, wie u.a. der European Medicines Agency (EMA), U.S. Food and Drug Administration (FDA) oder dem Committe on Toxicity (COT) aus Großbritannien ausgelöst [9-12]. Vor allem der gewählte Ansatz zur Bewertung und insbesondere die Relevanz der maßgeblichen Tierstudie bezüglich immuntoxischer Effekte wurde mehrheitlich kritisiert. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat 2023 die wissenschaftlichen und methodischen Unstimmigkeiten (Divergenzen) der EFSA-Bewertung ebenso dargelegt und zusätzlich anhand der aktuellen Datenlage einen eigenen TDI-Wert abgeleitet, der 0,2 µg/kg KG und Tag beträgt, also „nur“ noch 20-fach geringer ist als der vorherige Wert der EFSA von 2015 [13]. Somit liegen derzeit zwei TDI-Werte vor, die den aktuellen Stand der Wissenschaft berücksichtigen, jedoch unterschiedlich interpretieren.

Die wichtigsten Unterschiede zwischen der BfR- und der EFSA-Bewertung sind im Folgenden gegenübergestellt [14]:

EFSA BfR
Wahl des kritischen Endpunktes Immuntoxizität (Vermehrte Th17-Zellen bei Mäusen) Reproduktionstoxizität (Beeinträchtigung der Spermiengesundheit bei Mäusen und Ratten)
Umrechnung der Dosis aus Tierstudien in humane Äquivalenzdosis (HED) Beschränkung auf wenige Tierstudien mit niedrigeren Dosen Mehrere Studien berücksichtigt. Ca. 10-fach höherer Faktor für HED ermittelt (TDI wird dadurch ca. 10-fach höher)
Ableitung des TDI-Wertes Deterministisch (mit toxikologischen Standardfaktoren) Probabilistisch (Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Effektvariabilitäten)

Sowohl der Ansatz der EFSA als auch des BfR basieren aus toxikologischer Sicht auf konservativen Annahmen.

Da keine aktuelle Expositionsabschätzung vorliegt, kann derzeit nicht abschließend bewertet werden, ob es Bevölkerungsgruppen gibt, die den aktuellen TDI-Wert des BfR von 0,2 µg/kg KG und Tag überschreiten. Bei der Heranziehung von oben genannten Abschätzungen, die auf Daten aus dem bayerischen Human-Biomonitoring von 2007 bis 2011 beruhen (entsprechend ca. 0,03-0,23 µg/kg KG und Tag), wäre dies größtenteils nicht der Fall, bei Heranziehung der Expositions-Daten aus der EFSA-Abschätzung von 2015 (0,1-0,9 µg/kg KG und Tag) teilweise schon. Der TDI-Wert der EFSA wird jedoch sehr wahrscheinlich durch die Exposition bei den meisten Menschen deutlich überschritten und eine flächendeckende Einhaltung wäre vermutlich nur durch ein Komplettverbot von Bisphenol A und eine Entfernung aller Bisphenol A-haltigen Produkte möglich. Zudem liegt der dem TDI-Wert der EFSA entsprechende Urin-Wert von 7 ng/l unterhalb der technischen Nachweisgrenze für BPA, so dass eine Einhaltung dieses TDI-Wertes auf individueller Ebene nicht überprüfbar wäre.

Um die gesundheitlichen Risiken beurteilen zu können, die unter Umständen mit einer Bisphenol-A-Aufnahme einhergehen, sind aktuelle Daten zur Exposition der Bevölkerung nötig. Das BfR empfiehlt aus diesem Grund, eine solche Expositionsschätzung durchzuführen und hat eine Datenerhebung bereits initiiert (vgl. https://www.bfr.bund.de/fragen-und-antworten/thema/bisphenol-a-in-alltagsprodukten-antworten-auf-haeufig-gestellte-fragen/).

Mit der Verordnung (EU) 2024/3190 wurde als Reaktion auf die aktuelle EFSA-Bewertung die Verwendung von Bisphenol A und anderen Bisphenolen in organischen Lebensmittelkontaktmaterialien/-gegenständen größtenteils verboten, wobei unterschiedliche Übergangsfristen gelten.

Literatur

  1. Mordorintelligence, Bisphenol-A-Marktgrößen- und Anteilsanalyse – Wachstumstrends und -prognosen (2024 – 2029) 2025.
  2. Thayer, K.A., et al., Pharmacokinetics of bisphenol A in humans following a single oral administration. Environ Int, 2015. 83: p. 107-15.
  3. Teeguarden, J.G., et al., 24-hour human urine and serum profiles of bisphenol A following ingestion in soup: Individual pharmacokinetic data and emographics. Data Brief, 2015. 4: p. 83-6.
  4. EFSA, Scientific Opinion on the risks to public health related to the presence of bisphenol A (BPA) in foodstuffs. EFSA Journal, 2015. 13(1): p. 3978.
  5. Völkel, W., M. Kiranoglu, and H. Fromme, Determination of free and total bisphenol A in urine of infants. Environ Res, 2011. 111(1): p. 143-8.
  6. Völkel, W., M. Kiranoglu, and H. Fromme, Determination of free and total bisphenol A in human urine to assess daily uptake as a basis for a valid risk assessment. Toxicol Lett, 2008. 179(3): p. 155-62.
  7. Tschersich, C., et al., Bisphenol A and six other environmental phenols in urine of children and adolescents in Germany - human biomonitoring results of the German Environmental Survey 2014-2017 (GerES V). Sci Total Environ, 2021. 763: p. 144615.
  8. EFSA, Re-evaluation of the risks to public health related to the presence of bisphenol A (BPA) in foodstuffs. EFSA Journal, 2023. 21(4): p. e06857.
  9. EMA und EFSA, Report on divergent views between EFSA and EMA on EFSA’s updated bisphenol A assessment 2023.
  10. COT, Position paper on bishphenol A. 2024.
  11. USDA, United States Department of Agriculture, Report Name: European Safety Authority Issues Updated Opinion on BPA. 2023.
  12. BfR, Draft Opinion on Bisphenol A: The BfR Comments on the Reassessment by the European Food Safety Authority 2022.
  13. BfR, Bisphenol A: BfR schlägt gesundheitsbasierten Richtwert vor, für eine vollständige Risikobewertung werden aktuelle Expositionsdaten benötigt. Stellungnahme Nr. 018/2023 des BfR vom 19. April 2023 2023.
  14. BfR und EFSA, Report on diverging views between EFSA and BfR on EFSA updated bisphenol A assessment. 2023.