Versorgungsforschung der Medizinischen Soziologie am Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin an der Universität Regensburg

Prof. Dr. Julika Loss, Prof. Dr. Christian Apfelbacher PhD, Medizinische Soziologie, Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Fakultät für Medizin der Universität Regensburg:

Randomisierte klinische Studien (z.B. zur Überprüfung der Wirksamkeit und Sicherheit neuer Medikamente) werden in der Regel unter stark reglementierten Rahmenbedingungen und an stark selektionierten Patienten durchgeführt. Deshalb sind die hier gemessenen Ergebnisse selten uneingeschränkt in den Alltag der Versorgung in deutschen Kliniken oder Arztpraxen übertragbar. Unterschiedliche Faktoren können die Versorgung und den Behandlungserfolg unter Alltagsbedingungen beeinflussen, z.B. ob Patienten überhaupt Zugang zu bestimmten Therapien haben, darüber adäquat informiert sind, oder ob sie ihre Medikamente einnehmen wie empfohlen (sog. Therapietreue). Auch ärztliches Handeln, z.B. die Verordnungspraxis, wird von ökonomischen und psycho-sozialen Aspekten beeinflusst, z.B. von der Vergütung oder der Überzeugung, etwas beeinflussen zu können. Die Versorgungsforschung der Medizinischen Soziologie der Universität Regensburg (UR) hat folgende Ziele

  1. auf individueller Ebene das Handeln von Ärzten und Patienten besser erklären zu können
  2. Wissenstransferprozesse und deren Barrieren zu beschreiben und Empfehlungen für eine Verbesserung der Implementierung von Evidenz in den Versorgungsalltag zu erarbeiten
  3. auf institutioneller Ebene Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität von Versorgungseinrichtungen zu beschreiben
  4. auf Systemebene die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen zu beschreiben.

Zur Erklärung ärztlichen Handelns wird das „Theoretical Domains Framework“ herangezogen, welches Konstrukte aus verschiedenen Theorien in Domänen (z.B. Wissen, professionelle Rolle, Kontext) gruppiert, um einen einheitlichen Rahmen für die Implementationsforschung zu schaffen. Zugrundeliegend ist dabei stets die Fragestellung, ob und wie die Umsetzung bestimmter Standards (z.B. Leitlinien) gelingen kann. Im Kontext von patientenorientierter Versorgungsforschung ist es wichtig, eine Qualitätsbewertung verfügbarer Materialien zur Patienteninformation vorzunehmen und umfassend die Informationsbedürfnisse von Patienten zu erforschen. Ob sich Patienten adhärent (therapietreu) verhalten, hängt allerdings nicht nur vom Grad der Informiertheit ab, sondern neben soziodemographischen Faktoren v.a. von medikamentenbezogenen Überzeugungen, vorhandenen psychologischen Beeinträchtigungen sowie sozialer Eingebundenheit. Die relative Rolle dieser Faktoren in Bezug auf verschiedene Erkrankungen zu erforschen, ist ein Forschungsgegenstand der Medizinischen Soziologie der Universität Regensburg. Neben Adhärenz spielt das multidimensionale Konstrukt „gesundheitsbezogene Lebensqualität“ eine wichtige Rolle. Dieses Konstrukt wird sowohl methodisch hinsichtlich psychometrischer Eigenschaften als auch inhaltlich in Bezug auf Bestimmungsfaktoren untersucht. Ein wichtiger Bestimmungsfaktor ist die Qualität der Versorgung in verschiedenen Einrichtungen. Noch grundlegender ist für die Lebensqualität und andere sog. patient-reported outcomes (PROs) überhaupt die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen (z.B. medikamentöse Versorgung) von Bedeutung. Für die Analyse von Inanspruchnahmeverhalten (auch an Schnittstellen der Versorgung, z.B. zwischen ambulantem und stationärem Sektor) werden Register- und Routinedaten (z.B. Sekundärdaten der Kranken-oder Rentenversicherung) genutzt.

Inwieweit wissenschaftliche Evidenz zu Prävention und Therapie im Versorgungsalltag tatsächlich zur erfolgreichen Anwendung kommt, hängt von einer Reihe nicht-medizinischer Faktoren ab, wie z.B.

  • Spezifika der Organisation von Versorgungseinrichtungen
  • Kommunikation an Schnittstellen in der intersektoralen Versorgung
  • strukturelle Rahmenbedingungen wie Vergütungs- und Versicherungssysteme,
  • Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Pflegepersonal
  • zielgruppengerechte Informations- und Beratungsangebote für Patienten und Angehörige
  • Merkmale auf Patientenseite (z.B. Alter, soziale Schicht, Gesundheitskompetenz)
  • Merkmale auf Ärzteseite (z.B. Erfolgserwartungen, Geschlecht).

Im Rahmen der Versorgungsforschung an der Universität Regensburg werden diese Versorgungskontexte, Einflussfaktoren und Barrieren auf dem Weg von der wissenschaftlichen Erkenntnis zur Implementierung unter Alltagsbedingungen in der Praxis analysiert.