Evaluation komplexer Maßnahmen

Prof. Dr. Julika Loss, Prof. Dr. Christian Apfelbacher PhD, Medizinische Soziologie, Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Fakultät für Medizin der Universität Regensburg:

In Abgrenzung zu Interventionen in der klinischen Forschung werden in den Forschungsfeldern der Prävention und Gesundheitsförderung oftmals „komplexe Interventionen“ umgesetzt und wissenschaftlich evaluiert. Die Forschung zu komplexen Interventionen in der Gesundheitsförderung und Prävention ergibt sich aus der sozialwissenschaftlichen Erkenntnis, dass das Individuum in seiner Lebenswelt nicht isoliert existiert, sondern durch seine (soziale) Umgebung beeinflusst wird. Gesundheit wird aus dieser Sicht entsprechend der WHO-Definition als ganzheitliches Konstrukt gedacht, das neben körperlichen auch psycho-soziale Komponenten mit einschließt. Demnach greift auch eine bloße Verhaltens- bzw. Verhältnisprävention zu kurz. Vielmehr wird eine Kombination beider Ansätze angestrebt. Darüber hinaus müssen strukturelle Einflüsse wie kulturelle Normen, Sozialisationserfahrungen und soziale Netzwerke oder institutionelle (sozio-politische) Arrangements als mögliche Barrieren oder Erfolgsfaktoren für ein gelingendes, gesundes Leben berücksichtigt werden. Gleiches gilt für geografische und bauliche Umgebungsfaktoren in den Lebenswelten von Individuen. Die Anlage von Maßnahmen in komplexen Interventionen soll idealerweise über einen langen Zeitraum erfolgen und von Anfang an eine aktive Beteiligung der Zielgruppen ermöglichen.

Wenn in einer Intervention ein solch hoher Grad an Komplexität zugelassen wird, stellt sich die Frage, inwiefern dieser auch in der Evaluation Berücksichtigung finden kann. Übersetzt man die oben stehenden Anforderungen an Gesundheitsförderungs- und Präventionsmaßnahmen in die Sprache von Evaluatoren führt das zu Studiendesigns, denen gängige (meist quantitativ orientierte) Evaluationsmethoden nicht oder nur in begrenztem Rahmen gewachsen sind: Studien mit nur bedingt standardisierten Interventionen, unbekannten, unvorhergesehenen oder schlecht operationalisierbaren Einflussfaktoren, unklar definierten Stichproben sowie vielfachen Outcomes auf mehreren Ebenen. Grundsätzlich unterscheidet man zwei Ansätze für die Evaluation komplexer Interventionen:

Es kann versucht werden, das Ausmaß der Komplexität zu reduzieren, um eine Anpassung an die Möglichkeiten der gängigen Evaluationsmethoden vorzunehmen. Damit ist gemeint, dass bei der Evaluation eine Fokussierung auf bestimmte (gut operationalisier- und erfassbare) Aspekte vorgenommen wird. Andere Bereiche werden bei dieser Vorgehensweise bewusst außen vor gelassen.

Wenn eine solche Reduktion der Komplexität nicht angestrebt wird bzw. nicht mit den inhaltlichen Zielen der Interventionsmaßnahme zu vereinbaren ist, bietet eine Erweiterung des Methodenspektrums die Chance, auch komplexere Prozesse und Wirkungen abzubilden. Insbesondere qualitativ orientierte Verfahren eröffnen die Möglichkeit, auch hoch komplexe Zusammenhänge zu explorieren und darzustellen. Beispielhaft seien hier Interviews, Fokusgruppendiskussionen und Fotodokumentationen als Methoden zur Datengewinnung genannt.