Psychometrische Versorgungsforschung: Entwicklung und Erprobung versorgungsrelevanter Messverfahren

Prof. Dr. med. Elmar Gräßel, PD Dr. Carolin Donath, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik Bereich Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung:

Dieser Schwerpunkt des Zentrums für Medizinische Versorgungsforschung in Erlangen wird von Frau PD Dr. Katharina Luttenberger geleitet.

Unter psychometrischer Versorgungsforschung ist die Entwicklung neuer oder die Weiterentwicklung bestehender Skalen zu Selbst- oder Fremdbeurteilung sowie von Leistungstests bei Patienten verschiedenster Erkrankungen zu verstehen. Ziel ist es, Verfahren mit möglichst großer Objektivität, Reliabilität und Validität zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen. Eine Erlanger Spezialität ist dabei die Berücksichtigung des Gütekriteriums der "Testökonomie", das heißt, dass Zeitbedarf und Aufwand für den Test so gering wie möglich gehalten werden. Die Entwicklung von Kurztests hat in Erlangen eine lange Tradition. Als Beispiele seien der Syndrom-Kurztest (SKT) und der Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest (MWT) genannt. Mit den neu entwickelten oder verbesserten Messverfahren wird ein Beitrag geleistet, Diagnose und Therapie-Evaluation zu optimieren. Für die Versorgungsforschung ist es besonders wichtig, dass diagnostische und Maßnahmen zu Therapiekontrolle mit hoher methodischer Qualität und somit hohem Evidenzgrad erzielt werden. Auch für die gesundheitsökonomische Ausrichtung der Versorgungsforschung ist die Validität der Assessmentinstrumente von essentieller Bedeutung. Im Nachfolgenden werden die aktuellen Projekte kurz erläutert.

Der zeitliche Umfang von Betreuung und Pflege ist ein sehr relevantes Kriterium der Versorgung eines Menschen mit Demenz. Da die Echtzeitmessung oder die Tagebuchmethode in den meisten Situationen zu großen Aufwand bedeutet, wurde von der Forschergruppe Wimo und Winblad (2003) das Verfahren RUD Lite (Ressource Utilization in Dementia Lite) zur Selbstbeurteilung des Zeitaufwandes von pflegenden Angehörigen entwickelt. In Erlangen wurde dieses international verwendete Erhebungsverfahren so weiterentwickelt (RUD-FOCA), dass es auch von Pflegeteams in stationären Einrichtungen angewandt werden kann (Luttenberger u. Graessel, International Psychogeriatrics 2010, 22: 1291-1300).

Die zentrale Variable zur Beschreibung der Situation pflegender Angehöriger, die auch für angehörigenbezogene Interventionsmaßnahmen von großer Bedeutung ist, ist die erlebte Belastung. Die 28 Items umfassende Selbstbeurteilungsskala "Häusliche-Pflege-Skala" HPS wird gerade mit zusätzlichen Kriterien, etwa der Gültigkeit von Vorhersagen, ergänzend validiert (Grau et al., Ageing and Health, eingereicht). Hinzu kommt die in einer umfangreichen Studie erstmalig validierte 10-Item-Kurzfassung HPS-k (Burden Scale for Family Caregivers – short version; BSFC-s) (Graessel et al., BMC Geriatrics, eingereicht). Sowohl die Originalfassung mit 28 Items (BSFC-o) wie auch die Kurzfassung (BSFC-s) sind in 20 Sprachen im Internet frei und kostenlos verfügbar (www.caregiver-burden.eu).

Da die Mehrheit der Demenzerkrankungen, namentlich die degenerativen Demenzen, nicht ursächlich behandelt werden können, kommt der Verlangsamung der Krankheitsprogression in der Versorgung von Demenzkranken die entscheidende Bedeutung zu. Neben den kognitiven Fähigkeiten sind die alltagspraktischen Kompetenzen für den Krankheitsverlauf am wichtigsten. Sie bestimmen die Selbstständigkeit oder Unselbstständigkeit der Lebensführung. Bis vor kurzem gab es keinen praktikablen, vielseitig einsetzbaren und validen Leistungstest zur Messung der alltagspraktischen Fähigkeiten von Demenzkranken. Mit dem Erlangen Test of Activities of Daily Living (E-ADL-Test) wurde diese Lücke geschlossen (Graessel et al., International Psychogeriatrics 2009, 21: 103-112). Der E-ADL-Test liefert sensitive Ergebnisse vor allem bei mittelschweren und schweren Demenzen (diese Ergebnisse sind frei zugänglich publiziert unter www.biomedcentral.com/1471-244X/12/208). Aktuell wird in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projekt ein weiterentwickelter Test (mE-ADL-Test) validiert, der speziell bei leichten ("m" für mild) Demenzformen eine differenzierte Beurteilung der alltagspraktischen Fähigkeiten ermöglichen wird.

Projekt

Entwicklung und Validierung des Erlanger-Alltagsaktivitätentest bei leichter Demenz (mE-ADL-Test) – ein Leistungstest zur Erfassung von alltagspraktischen Fähigkeiten bei Menschen mit leichter Demenz