Primäre aromatische Amine/Azo-Farbstoffe/-Pigmente in bunten Tattoofarben - Untersuchungsergebnisse 2013 und 2016

Primäre aromatische Amine in Azo-Farbstoffen/-Pigmenten

Der Trend, sich tätowieren zu lassen, hält unvermindert an. In Deutschland sind nach einer Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2009 etwa 24 % der Bevölkerung in der Altersgruppe zwischen 14 und 34 Jahren tätowiert [1]. Nach einer neuen Studie der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2014 [2] wurden diese Zahlen bestätigt. Während früher zur Tätowierung häufig anorganische Pigmente wie Eisen- und Chromoxide oder Quecksilber- oder Cadmiumsulfid als farbgebende Stoffe verwendet worden sind, werden heute überwiegend organisch-synthetische Farbstoffmoleküle, hauptsächlich Azo-Farbstoffe/ -Pigmente und polyzyklische Verbindungen, eingesetzt. Einige Azo- und Diazopigmente zeichnen sich vor allem durch ihre Lichtechtheit und Farbbrillanz aus und sind kostengünstig zu produzieren. Viele gelbe, rote, orange und braune Tätowierfarben enthalten daher Farbstoffe bzw. Pigmente mit einer oder mehreren Azobindungen der folgenden typischen Struktur:

 

Allgemeine chemische Formel einer Azoverbindung.


Unter bestimmten chemischen Bedingungen, durch den Stoffwechsel bestimmter Mikroorganismen oder möglicherweise unter physiologischen Bedingungen durch die Wirkung entsprechender Enzyme kann die Azo-Bindung zwischen den beiden Stickstoffatomen (N) reduktiv gespalten werden, wobei je nach Vorliegen verschiedener Reste R1 oder R2 sogenannte primäre Amine entstehen können. Eine weitere, allerdings eher unkontrollierte Spaltung dieser Verbindungen kann durch energiereiche Strahlung erfolgen, beispielsweise durch die UV-Strahlung des Sonnenlichtes oder durch die Einwirkung von Laserstrahlung bei einer Tattoo-Entfernung [3,4]. Sofern es sich bei den Resten R um aromatische Kohlenwasserstoffe handelt, werden primäre aromatische Amine gebildet. Einfachster Vertreter dieser chemischen Gruppe ist Anilin, ein weiteres Beispiel ist 2-Naphthylamin.

Chemische Strukturformel 2-Naphthylamin.

Die Stoffgruppe der primären aromatischen Amine ist toxikologisch bedenklich, weil zahlreiche Vertreter als krebserregend eingestuft sind.

Rechtssituation

Diese Tatsache führte dazu, dass Azofarbstoffe, die diese bedenklichen aromatischen Amine abspalten können, in vielen Produkten seit längerem verboten sind, z.B. in Textilien, Leder und Fingerfarben. Auch die Tätowiermittel-Verordnung, die in Deutschland seit 2009 gilt, enthält für Tattoofarben und Permanent Make-Up-Produkte Regelungen zu dieser problematischen Stoffklasse. Nach den Vorschriften dieser Verordnung ist die Verwendung von Azofarbstoffen verboten, die durch reduktive Spaltung einer oder mehrerer Azogruppen in eines oder mehrere der in Anlage 1 dieser Verordnung aufgeführten Amine aufspalten. In dieser Anlage 1 der Tätowiermittel-Verordnung sind 26 verschiedene Verbindungen aufgeführt. Dieses Verbot bezieht sich konkret auf die Azo-Farbstoffe/-Pigmente, die nachweislich unter reduktiven Bedingungen durch Spaltung der Azobindung die aufgeführten aromatischen Amine freisetzen. Der analytische Nachweis der verbotenen Azo-Farbstoffe/-Pigmente erfolgt damit über den positiven Nachweis der primären aromatischen Amine und nicht über den/das Azo-Farbstoff/-Pigment selbst.

Darüber hinaus enthält die Tätowiermittel-Verordnung eine Vorgabe, dass Tätowierfarben keine Stoffe enthalten dürfen, die nach der europäischen Kosmetik-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1223/2009) für die Verwendung in kosmetischen Mitteln verboten sind. In dieser Liste der verbotenen Stoffe (Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009) sind auch zahlreiche Vertreter der primären aromatischen Amine wie z.B. o-Anisidin oder o-Toluidin aufgeführt.

 

Chemische Strukturformel Toluidin.

 

Sofern diese Stoffe auch ohne reduktive Bedingungen in den Farben analytisch nachweisbar sind, also in freier ungebundener Form vorliegen, werden sie damit ebenfalls von den Verbotsregelungen der Tätowiermittel-Verordnung erfasst.

Untersuchungsergebnisse

Zur Überprüfung der Gehalte an den 26 verschiedenen aromatischen Aminen wurde ein Verfahren entsprechend der für Fingerfarben normierten Standardmethode nach EN 71-7 eingesetzt. Die Bestimmungen wurden sowohl mit wie auch ohne reduktive Spaltung durchgeführt und positive Befunde mehrfach abgesichert.

Untersuchungsergebnisse 2013

Balkendiagramm zur Darstellung der unterschiedlichen Ergebnisse, die für die untersuchten Proben ermittelt wurde: Von insgesamt 28 untersuchten Proben waren 16 Proben ohne positiven Befund, 5 Proben wiesen einen Gehalt an aromatischen Aminen von weniger als 5 mg/kg auf, und 7 Proben zeigten einen Gehalt, der größer als 5 mg/kg war.

Abbildung: Probenzahlen mit Ergebnissen der Untersuchungen von Tätowiermitteln und Permanent Make-up-Farben auf aromatische Amine aus dem Jahr 2013

Von den insgesamt 28 untersuchten Proben (22 bunte Tätowiermittel und 6 Permanent Make-up-Farben) zeigten 16 Proben, entsprechend 57 %, keine positiven Befunde. In vier Tätowierfarben der Farben grün, gelb und rot sowie in einem rötlich gefärbten Permanent Make-up, das heißt in insgesamt 18 % der untersuchten Farben, waren aromatische Amine in Konzentrationen unter der Bestimmungsgrenze von < 5 mg/kg nachweisbar. In sieben Tätowierfarben (vier grüne, zwei gelbe und eine orange), das heißt in jedem vierten geprüften Produkt, wurden dagegen aromatische Amine in Gehalten über der Bestimmungsgrenze von > 5 mg/kg nachgewiesen. In allen belasteten Farben waren ausschließlich die beiden oben aufgeführten aromatischen Amine o-Anisidin und o-Toluidin entweder gemeinsam oder einzeln vorhanden. o-Toluidin war in vier der belasteten Proben in Gehalten zwischen 108 bis 206 mg/kg nachweisbar, während o-Anisidin in fünf der belasteten Proben in Gehalten zwischen 16 bis 67 mg/kg vorgefunden wurde. In der Mehrzahl der Proben waren die Gehalte sowohl mit als auch ohne reduktive Spaltbedingungen in der gleichen Größenordnung nachweisbar, weshalb davon auszugehen ist, dass die Verbindungen als technische Synthese-Verunreinigungen vorhanden waren.

In allen mit o-Anisidin belasteten Produkten war laut Deklaration der gelbe Farbstoff mit der Bezeichnung „Pigment Yellow 74“ und der Nummer CI 11741 (CI = Colour Index) enthalten, während bei allen mit o-Toluidin belasteten Proben der ebenfalls gelbe Farbstoff mit der Bezeichnung „Pigment Yellow 14“ und der Nummer CI 21095 deklariert war.

 

Chemische Formel  des gelben Farbstoffs mit der Bezeichnung „Pigment Yellow 74“ und der Nummer CI 11741 .

Wie aus der Struktur ersichtlich ist, ist o-Anisidin ein Bestandteil in der Seitenkette dieses Pigmentes.

Chemische Formel  des gelben Farbstoffsmit der Bezeichnung „Pigment Yellow 14“ und   der  Nummer CI 21095 .

Entsprechend der Struktur des Farbstoffes CI 21095 liegt hier eine analoge Situation vor: Die Verbindung o-Toluidin ist eine Komponente in beiden Seitenketten des Pigmentes.


Unter den reduktiven Bedingungen der Analyse müsste durch Azobindungsspaltung theoretisch aus diesem Farbstoff das aromatische Amin 3,3´-Dichlorbenzidin freigesetzt werden.

Chemische Formel  von Dichlorbenzidin .


Diese Verbindung konnte jedoch in den Farben, in denen dieses Pigment deklariert war, nicht nachgewiesen werden. Der Grund liegt vermutlich in der Unlöslichkeit des Pigmentes im Reaktionsansatz, weshalb die Azobindungen unter den reduzierenden Bedingungen nicht aufgespalten werden.

Untersuchungsergebnisse 2016

Im Jahr 2016 wurde das Untersuchungsprogramm erneut aufgegriffen und insgesamt 24 Proben (17 rote, orange, gelbe und grüne Tätowierfarben und 7 Farben für Permanent-Make-up) geprüft. Erfreulicherweise waren in 16 Proben, also 67 %, keine aromatischen Amine der Anlage 1 der Tätowiermittel-Verordnung in messbaren Gehalten vorhanden. Bei den acht belasteten Proben zeigte sich ein ähnliches Bild wie bereits im Jahr 2013. Am häufigsten waren die Substanzen „o-Toluidin“ und „o-Anisidin“ nachweisbar. Fünf Proben zeigten hier Gehalte im Bereich von größer 5 mg/kg bis zu Gehalten über 100 mg/kg. Auch hier waren die Gehalte in der Mehrzahl der Proben sowohl mit als auch ohne reduktive Spaltbedingungen in der gleichen Größenordnung, weshalb auch bei diesen Befunden davon auszugehen ist, dass die Verbindungen als technische Synthese-Verunreinigungen vorlagen.


In drei weiteren belasteten Proben wurde ohne reduktive Spaltbedingungen (also frei vorliegend) das aromatische Amin „2-Methyl-5-nitroanilin“ und unter reduktiven Spaltbedingungen das daraus resultierende „2,4-Diaminotoluol“ positiv nachgewiesen. Beide Substanzen sind ebenfalls in Anlage 1 der Tätowiermittel-Verordnung gelistet.

In beiden Untersuchungsansätzen (mit und ohne Reduktionsmittelzusatz) konnte zudem immer Anilin nachgewiesen werden. Diese Befunde sprachen für die Anwesenheit des Azo-Pigmentes mit der CI-Nummer 12315, „Pigment Red 22“, das bei einer Probe auch in der Inhaltsstoffangabe deklariert war. Die Verwendung dieses Pigmentes ist nach den Vorgaben der Tätowiermittel-Verordnung verboten, da unter reduktiven Bedingungen durch Spaltung der Azobindung ein in Anlage 1 der Tätowiermittel-Verordnung aufgeführtes aromatisches Amin, nämlich 2,4-Diaminotoluol, freigesetzt wird.

Chemische Formel  des Farbstoffs CI 12315 Dichlorbenzidin .

CI 12315

Beschreibung: Unter reduktiven Reaktionsbedingungen wird die Azo-Bindung gespalten und zum primären aromatischen Amin reduziert und gleichzeitig wird die Nitrogruppe ebenfalls zum primären aromatischen Amin reduziert.

Maßnahmen

Alle Proben mit positiven Gehalten an freien aromatischen Aminen über der Bestimmungsgrenze wurden als nicht verkehrsfähig beurteilt. Auch für die Farben mit einem eindeutigen Zusatz des Pigmentes CI 12315 wurde ein Verkehrsverbot ausgesprochen. In Zusammenarbeit mit Toxikologen wurden zu den jeweils festgestellten Gehalten Expositionsabschätzungen durchgeführt und Risikobewertungen vorgenommen. Da für alle Proben unter Betrachtung des bestimmungsgemäßen oder vernünftigerweise vorauszusehenden Gebrauchs nur ein vernachlässigbares produktbedingtes zusätzliches Krebsrisiko berechnet werden konnte, ergaben sich keine Begründungen für eine Eignung zur Gesundheitsschädigung und daraus resultierend kein ernstes Verbraucherrisiko.

Unabhängig von diesen Bewertungen handelt es sich aber bei aromatischen Aminen um genotoxische Kanzerogene, für die keine Schwelle der Unbedenklichkeit angenommen werden kann. Deshalb wurden die verantwortlichen Inverkehrbringer der Produkte auch mit Gehalten unter der Bestimmungsgrenze aufgefordert, die Qualität und die Stabilität ihrer Produkte zu kontrollieren und ggf. durch einen Austausch der Farbstoffe die Anwesenheit von aromatischen Aminen auszuschließen.

Ausblick

Diese Ergebnisse zeigen, dass das in der Tätowiermittel-Verordnung formulierte Verbot für die Azo-Farbstoffe/-Pigmente in der Praxis problematisch ist, da die fraglichen Pigmente im Reaktionsansatz zur Freisetzung von aromatischen Aminen möglicherweise aufgrund ihrer Unlöslichkeit nicht erfasst werden. Es besteht daher eine dringende Notwendigkeit für eine Änderung der Tätowiermittel-Verordnung bezüglich folgender Aspekte:


Die Verbotsregelung bezüglich der aromatischen Amine sollte dahingehend erweitert werden, dass diese weder durch irgendeine Spaltungsreaktion freigesetzt werden dürfen noch dass diese im Tätowiermittel enthalten sein dürfen.


Ferner wäre es erforderlich, eine einheitliche Methode mit normierten Spaltungsbedingungen sowie konkrete Grenzwerte für die technische Vermeidbarkeit festzulegen.


Alternativ sollte überlegt werden, Pigmente, die die Strukturen der aromatischen Amine in ihrem Molekülaufbau beinhalten, generell für die Verwendung in Tätowiermitteln und Permanent Make-up zu verbieten. Dies wäre vor allem vor dem Hintergrund von Bedeutung, da es mittlerweile Nachweise dafür gibt, dass aus Azofarbstoffen unter dem Einfluss von Sonnenlicht bzw. von Laserstrahlen aromatische Amine freigesetzt werden können [3,4]. Diese Problematik spielt daher im Falle einer Tattoo-Entfernung mittels Laser eine besondere Rolle, da es hierbei zu einer Freisetzung der kanzerogenen Stoffe in einem bedeutsamen Umfang kommen könnte.


Die Umsetzung der vorgenannten Vorschläge würde zum einen eine größere Rechtssicherheit für Hersteller, Importeure und Gewerbetreibende bedeuten und zum anderen die Verbrauchersicherheit deutlich verbessern.

Literatur:

[1] Verbreitung von Tätowierungen, Piercing und Körperhaarentfernung in Deutschland
Ergebnisse einer Repräsentativerhebung in Deutschland im Mai und Juni 2009
; Pressemitteilung der Universität Leipzig, 13. Juli 2009 unter: https://www.huber-verlag.de/daten/newspool/file/16946/presse_tattoo_piercing.pdf

[2] Tattoos und Piercings in Deutschland - Eine Querschnittsstudie; Hans J. Trampsch, Katja Brandau; Medizinische Fakultät, Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie; Ruhr-Universität, Bochum unter: http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/mam/content/tattoo-studie.pdf

[3] Tattoo Pigments in skin; Determination and Quantitative Extraction of Red Tattoo Pigments;
Eva Engel; Dissertation an der Universität Regensburg; 2007 unter: https://epub.uni-regensburg.de/10673/1/Dissertation_Engel_Bib.pdf

[4] Current Problems in Dermatology Vol. 48 – Tattooed Skin and Health;
Karger Verlag, 2015
Photostability and Breakdown Products of Pigments Currently Used in Tattoo Inks
Hauri, U.; Hohl, C.