Die Rolle regionaler Deprivation bei der Prävention von Diabetes mellitus und Adipositas. Ergebnisse aus den GEDA-Telefonsurveys 2009 und 2010

Prof. Dr. Reiner Leidl, Prof. Dr. Rolf Holle, Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen (IGM):

Ziel

Die zunehmende Prävalenz von Diabetes mellitus sowie von damit assoziierten Risikofaktoren, insbesondere Adipositas, zeigt aus epidemiologischer und aus gesundheitsökonomischer Perspektive die Notwendigkeit verstärkter präventiver Maßnahmen. Um entsprechende Versorgungsangebote so zielgerichtet und damit so effektiv wie möglich planen zu können, müssen die entsprechenden Bevölkerungsgruppen und geographischen Regionen, in denen diese Maßnahmen besonders notwendig sind, vorab identifiziert werden. Ziel unserer Untersuchung war es, die Bedeutung regionaler Faktoren im Zusammenhang mit Diabetes mellitus und Adipositas in Deutschland zu untersuchen.

Methodik

Analysiert wurden gepoolte Daten der telefonischen Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts „Gesundheit in Deutschland Aktuell“ (GEDA) von 2009 und 2010. Insgesamt gingen n=33.690 Teilnehmer in die Analyse ein. Als abhängige Variablen wurden die Selbstangaben zum Vorliegen von Diabetes sowie von Adipositas (BMI ≥30) verwendet. Als erklärende Variable auf Individualebene wurde Schulbildung berücksichtigt. Alter, Geschlecht, BMI, Raucherstatus, körperliche Aktivität und Partnerstatus wurden als Kovariablen betrachtet. Die regionale Deprivation der Landkreise und kreisfreien Städte wurde über den "German Index of Multiple Deprivation" (GIMD) erfasst, der aus regional verfügbaren Informationen zu Einkommen, Beschäftigung, Bildung, kommunalen Einnahmen, Sozialkapital, Umwelt und Sicherheit in einem definierten Gebiet gebildet wird. Die multivariate Auswertung erfolgte über logistische Mehrebenen-Modelle.

Ergebnisse

In Regionen mit der höchsten Deprivation lag die Häufigkeit eines Typ-2-Diabetes bei 8,6 Prozent der Befragten und für Adipositas bei 16,9 Prozent, gegenüber 5,8 bzw. 13,7 Prozent der Befragten in nur gering benachteiligten Regionen. Nach Adjustierung für weitere Einflussgrößen hatten Personen in den Gebieten mit der höchsten Deprivation noch eine rund 20 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, an Typ-2-Diabetes erkrankt zu sein, verglichen mit Männern und Frauen in den am wenigsten benachteiligten Regionen. Bei Adipositas lag sogar eine um fast 30 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit in Zusammenhang mit höherer Deprivation vor. Hohe regionale Deprivation war insbesondere bei Frauen ein unabhängiger Einflussfaktor für das Auftreten von Diabetes und Adipositas. Bei Männern ließ sich ein statistisch signifikanter und unabhängiger Zusammenhang für Adipositas, nicht aber für Diabetes nachweisen.

Schlussfolgerung

Soziale Ungleichheit in der Prävalenz von Diabetes und Adipositas wird entscheidend über sozialräumliche Aspekte mitbestimmt. Räumliche Risikofaktoren wie materielle und soziale Deprivation sind ein wichtiger Ansatzpunkt, um regionalspezifische, effektive Präventionsmaßnahmen zu erarbeiten. Für ganzheitliche Präventionsstrategien müssen regionale wie auch individuelle Risikofaktoren identifiziert und auch deren Interaktion beleuchtet werden. Weitere Forschung soll untersuchen, inwieweit regionale Unterschiede bzgl. Versorgungsangeboten bestehen und zu den gesundheitlichen Ungleichheiten beitragen.