Auswirkungen des Pflegeheimübertritts von Demenzpatienten auf Leistungsinanspruchnahme und Kosten

Prof. Dr. Reiner Leidl, Prof. Dr. Rolf Holle, Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen (IGM):

Ziel

Rund zwei Drittel aller Pflegeheimbewohner in Deutschland leiden an demenziellen Erkrankungen. Dennoch gibt es bislang kaum Längsschnittuntersuchungen dazu, wie sich der Pflegeheimübertritt auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bei Menschen mit Demenz auswirkt. Das Wissen um entsprechende Veränderungen in der Versorgung ist für ein patientenorientiertes Demenzmanagement von erheblicher Bedeutung. Vor diesem Hintergrund zielte das Projekt darauf ab, innerhalb einer Gruppe pflegebedürftiger Menschen mit Demenz die Versorgungsmuster für verschiedene Krankenversicherungsleistungen vor und nach Heimübertritt zu analysieren die damit verbundenen Leistungsausgaben zu berechnen.

Methodik

Innerhalb eines Kassendatensatzes, der 9.147 Menschen mit Demenz enthielt, wurden zunächst für das Basisjahr 2006 alle Versicherten anhand der Pflegeversicherungskategorie "vollstationäre Pflege" den Versorgungsformen "Zuhause", "im Heim", und "Pflegeheimübertritt" zugeordnet. Personen ohne Pflegeversicherungsanspruch wurden als zuhause lebend klassifiziert und das Datum der erstmaligen Dokumentation „vollstationärer Pflege“ wurde dem Zeitpunkt des Heimübertritts gleichgesetzt. So wurden 651 Menschen mit Demenz identifiziert, die 2006 in ein Pflegeheim übersiedelten. Für diese Gruppe wurde in allen Leistungsbereichen der GKV die Leistungsinanspruchnahmevolumina über vier Quartale vor bis vier Quartale nach Heimübertritt mit Hilfe eines negativ binomialverteilten Generalisierten Linearen Modells ausgewertet. Die Parameter wurden durch Generalized Estimating Equations mit der Autokorrelation erster Ordnung als Arbeitskorrelation und dem Übertrittsquartal als Bezugspunkt geschätzt. Ergänzend wurden die dabei anfallenden durchschnittlichen Leistungsausgaben erfasst.

Ergebnisse

Menschen mit Demenz nehmen im Quartal des Heimübertritts sämtliche Krankenversicherungsleistungen deutlich stärker in Anspruch als in den vier Vorquartalen. Nach dem Heimübertritt pendelt sich das Nutzungsvolumen bei Arzneimitteln sowie Heil- und Hilfsmitteln auf einem höheren Niveau ein, während in der haus- und fachärztlichen sowie in der Krankenhausversorgung wieder die Ausgangswerte erreicht werden.
Die Leistungsausgaben der GKV für Menschen mit Demenz verlaufen umgekehrt u-förmig mit Scheitelpunkt im Übertrittsquartal und sind insgesamt im Jahr nach dem Pflegeheimübertritt geringer als im Jahr davor (ca. 5.800 € vs. ca. 4.600 €).

Schlussfolgerung

Die Phase des Pflegeheimübertritts ist bei Menschen mit Demenz durch eine außergewöhnliche intensive Nutzung von Krankenversicherungsleistungen gekennzeichnet. Zudem unterscheidet sich das Inanspruchnahmeverhalten vor und nach Heimübertritt. Im institutionellen Umfeld nehmen Menschen mit Demenz verstärkt unterstützende Leistungen in Anspruch, die auf eine zunehmende körperliche Einschränkung hinweisen (Heil- und Hilfsmittel). Die Leistungen medizinischer Spezialisten (Fachärzte, Krankenhaus) werden demgegenüber nicht in größerem Umfang genutzt. Weiterhin verliert die Rehabilitation als Leistungsangebot, das der Förderung patientenseitiger Selbstständigkeit dienen soll, ihre Bedeutung fast vollständig. Inwieweit diese quantitativen Versorgungsmuster mögliche Bedarfsverschiebungen im Kontext des Heimübertritts adäquat berücksichtigen, ist durch ergänzende qualitative Analysen zu klären.