Ethylenoxid in Lebensmitteln

Ab dem Herbst 2020 gab es verstärkt Berichte darüber, dass ganze Chargen an Sesamkörnern (frisch oder geröstet) von Produzenten, Importeuren oder Händlern zurückgenommen bzw. zurückgerufen wurden. Grund dafür war eine mögliche Gefährdung der Gesundheit von Verbrauchern, die durch Rückstände von Ethylenoxid verursacht werden könnte. Mittlerweile wurde Ethylenoxid in vielen Produkten nachgewiesen, wie z. B. in verschiedenen Verdickungsmitteln, Ingwer und aus diesen und auch aus anderen Zutaten hergestellte Lebensmittel.

Ethylenoxid ist eine sehr reaktive chemische Verbindung, die bei Raumtemperatur gasförmig ist. Sie wird vor allem in tropischen Ländern eingesetzt, um Lebensmittel vor deren Transport zu begasen und damit Schadorganismen wie z. B. Bakterien zu zerstören und damit einem Verderb vorzubeugen. Auf Grund der Reaktivität des Ethylenoxids entsteht nach der Behandlung auch in erheblichem Umfang sein Hauptmetabolit 2- Chlorethanol. Nach den bisherigen Ergebnissen wird in Lebensmitteln sogar in nahezu allen Fällen ausschließlich 2-Chlorethanol nachgewiesen, sofern der Summenparameter Ethylenoxid überhaupt bestimmt werden kann. In der Europäischen Union ist eine Behandlung von Lebensmitteln mit Ethylenoxid seit längerem nicht mehr zugelassen, in Drittstaaten außerhalb der EU wird sie, wie die Ergebnisse zeigen, dennoch angewendet. Zugelassen ist sie z. B. noch in Indien, den USA und in Kanada.

Analytisch können die beiden Substanzen Ethylenoxid und 2-Chlorethanol nicht mit einer sogenannten Multimethode bestimmt werden, die es ermöglicht, mehrere hundert Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln in einem Untersuchungsgang nachzuweisen und zu quantifizieren. Damit sie erfasst werden können, muss eine sehr aufwändige, spezielle Einzelstoffanalytik betrieben werden. Der analytische Aufwand steigt noch einmal, wenn zwischen beiden Substanzen differenziert werden soll.

Lebensmittelrechtlich betrachtet wird Ethylenoxid als Pflanzenschutzmittel eingeordnet, Rückstände sind deshalb in den einschlägigen Rechtsgrundlagen geregelt. Da eine Begasung mit Ethylenoxid in der EU nicht zugelassen ist, orientieren sich die für einzelne Lebensmittelgruppen festgelegten Grenzwerte (Höchstgehalte) an der Leistungsfähigkeit (Bestimmungsgrenze) der Untersuchungsverfahren. Im Falle von Sesam wurde deshalb beispielsweise ein Höchstgehalt von 0,05 mg/kg oder für Johannisbrot (ein Verdickungsmittel) von 0,1 mg/kg festgelegt. Die festgelegten Höchstgehalte orientieren sich an der analytischen Bestimmbarkeit des Ethylenoxids in den einzelnen Lebensmitteln. Für die Überprüfung der Höchstgehalte wird in der Rückstandsdefinition festgelegt, dass ermittelte Gehalte von Ethylenoxid und 2- Chlorethanol (das auf Ethylenoxid umgerechnet wird) addiert werden. Um ausschließlich die Einhaltung des genannten Höchstgehalts überprüfen zu können, ist eine Kenntnis der vorliegenden, konkreten Konzentrationen der einzelnen Substanz nicht notwendig, es genügt den Gesamtgehalt im Lebensmittel zu bestimmen. Lebensmittel, die Ethylenoxid bzw. 2-Chlorethanol über dem Höchstgehalt enthalten, dürfen nicht in den Verkehr gebracht, d. h. abgegeben, und auch nicht mit unbelasteten Chargen vermischt oder zur Herstellung von anderen Lebensmitteln verwendet werden. Für Lebensmittelzusatzstoffe, die nicht gleichzeitig Lebensmittel sind, für die es im Pflanzenschutzmittelrecht Regelungen gibt, gilt die Vorgabe, dass sie mit Ethylenoxid nicht sterilisiert werden dürfen. Zum Nachweis einer entsprechenden Belastung muss auch bei diesen Substanzen die jeweilige, analytische Bestimmungsgrenze herangezogen werden.

Ethylenoxid ist ein gentoxischer, kanzerogener Stoff, der in die Kanzerogenitäts-Kategorie 1 als beim Menschen krebserzeugend eingestuft wurde. Die Kanzerogenität ist auf Grund der Flüchtigkeit von Ethylenoxid als Gas am relevantesten nach inhalativer Exposition, aber auch für die Aufnahme beim Verschlucken wurde im Tierversuch die Auslösung von Tumoren beobachtet. Vergleichsweise wenig Informationen sind zur akuten Toxizität von Ethylenoxid nach oraler Aufnahme verfügbar. Deshalb kann das gesundheitliche Risiko nach kurzfristiger Aufnahme von Ethylenoxid nur schwierig abgeschätzt werden, die aktuell nachgewiesenen Gehalte geben aber keinen Anlass zur Besorgnis, dass kurzfristige Wirkungen auftreten könnten. Für die toxikologische Bewertung von Rückständen an Ethylenoxid wesentlich bedeutender ist seine Toxizität als Kanzerogen nach langfristiger Exposition, hier sind gesundheitsschädliche Wirkungen auch bei relativ geringen Konzentrationen denkbar.

Für 2-Chlorethanol kann davon ausgegangen werden, dass bei den bisher nachgewiesenen Konzentrationen nach kurzfristiger Aufnahme keine gesundheitsschädlichen Wirkungen auftreten. Kontrovers diskutiert wird dagegen die Einordnung von 2-Chlorethanol hinsichtlich einer kanzerogenen Wirkung, da dazu bislang keine Ergebnisse aus Tierversuchen vorliegen, die auf eine eindeutige krebserzeugende Wirkung hinweisen.

Damit beurteilt werden kann, ob von der Charge eines Lebensmittels eine Gesundheitsgefährdung für den Menschen ausgeht, ist es nicht ausreichend, lediglich den Gehalt an Ethylenoxid (Summe) zu kennen, es ist auch wichtig zu wissen, welche Mengen ein Verbraucher von dem jeweiligen Lebensmittel aufnimmt. Dazu muss die mit einem Produkt aufgenommenen Mengen an Ethylenoxid auf eine Aufnahme pro kg Körpergewicht eines Verbrauchers umgerechnet werden. Dabei wird berücksichtigt, welche Mengen des Lebensmittels aufgenommen werden (z. B. eine Portion oder eine empfohlene Aufnahmemenge) und wer die vorgesehene oder vorhersehbare Zielgruppe eines Lebensmittels ist ((Klein-)Kinder oder Erwachsene).

Um beurteilen zu können, ob von nachgewiesenem Ethylenoxid in einem Lebensmittel eine Gesundheitsgefahr für den Menschen ausgeht, hat das Bundesinstitut für Risikobewertung nach Prüfung der einschlägigen toxikologischen Literatur eine sogenannte „Aufnahmemenge geringer Besorgnis“ definiert. Über den Gehalt des Summenparameters Ethylenoxid (Summe aus Ethylenoxid und 2-Chlorethanol, ausgedrückt als Ethylenoxid) wird geprüft, ob die genannte Aufnahmemenge geringer Besorgnis überschritten wird oder nicht. Wird diese nicht überschritten, kann davon ausgegangen werden, dass von einem Lebensmittel keine nennenswerte Gefährdung der menschlichen Gesundheit ausgeht. Wird sie maßgeblich überschritten, werden die betreffenden Produkte lebensmittelrechtlich als nicht sichere Lebensmittel beurteilt, da sie für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind.