Herausforderungen für die Versorgungsforschung am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)

Prof. Dr. Ulrich Mansmann, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE)

Die Methodendiskussion in der Versorgungsforschung ist vielfältig und wurde durch drei Memoranden angestoßen. Es wird dort auf bestehende epidemiologische Designs zur Deskription komplexer Sachverhalte, zur Identifikation von systembestimmenden Faktoren und zur Analyse der Effekte von Interventionen verwiesen. Im IBE konzentrieren wir uns vor allem auf Aspekte zur Bestimmung von Effekten komplexer Interventionen, die Versorgungsstrukturen modifizieren.

Hier sehen wir drei spezifische Herausforderungen:

  1. Analyse der Effekte,
  2. die Verbindung von quantitativen und qualitativen Methoden und
  3. Operationalisierung einer systemischen Sichtweise.

Viele medizinische Maßnahmen sind komplexe Interventionen. Sie bestehen aus mehreren Einzelkomponenten, die sich wechselseitig bedingen. Beispiele dafür sind Stroke Units oder Disease-Management-Programme. Bei der Beurteilung ihrer Wirksamkeit, des Nutzens und Schadens bleiben der Beitrag der Einzelkomponenten und der Einfluss ihrer Interaktionen mit dem Setting auf das Gesamtergebnis häufig unklar. Zur Beurteilung einer komplexen Intervention ist die Gesamtheit der Evidenz einschließlich Entwicklungsphasen, RCT und Implementierungsstudien notwendig. Metaanalysen werden diesem Anspruch nicht gerecht. Systematische Übersichtsarbeiten müssen weiter entwickelt werden, um dem Nutzer die gewünschten und notwendigen Informationen verlässlich zur Verfügung stellen zu können. Die methodischen Probleme medizinischer komplexer Interventionen stellen sich in ähnlicher Weise für Interventionen aus dem Pflege-, Ernährungs-, Erziehungs- oder Politikbereich.
Instrumente zur Bearbeitung mehrschichtiger, komplexer Sachverhalte müssen popularisiert werden. Verfahren wie die "logischen Modelle" brauchen Erprobung in der Praxis. Logische Modelle sind Modellierungen von Evaluationsgegenständen, die in den gesellschaftlichen Bereich hineinwirken und die mindestens die Ebenen der Struktur (im Sinne des Kontextes), des Prozesses und des Ergebnisses berücksichtigen. Generell können Logische Modelle an die jeweiligen Evaluationserfordernisse angepasst werden. Mit ihrer Hilfe können Beziehungen zwischen den verschiedenen Ebenen visualisiert werden, so dass komplexe Zusammenhänge in einer übersichtlichen Form beschrieben werden können. Sie ermöglichen eine Fehleranalyse und bieten eine Grundlage für die Qualitätssicherung und für die Verbesserung und Weiterentwicklung von Strategien.

Mixed Methods-Ansätze gelten mittlerweile im angelsächsischen Raum als "drittes methodologisches Paradigma" jenseits der Dualität von qualitativ versus quantitativ. Ihre Anwendung in der Versorgungsforschung ist neu und bedarf einer sorgfältigen Auswahl von Themenfeldern. Die Entwicklung dieses Methodenbereichs ist in den Sozialwissenschaften schon lange vorhanden. Die Methodenentwicklung für die spezifischen Probleme in Public Health und Versorgungsforschung macht erste Gehversuche. Sorgfältige Erfahrungsberichte zu den Anwendungen von mixed-methods müssen den Versorgungsforschern zur Diskussion vorgelegt und Erfahrung damit kommuniziert werden.

Die grundlagenorientierte Versorgungsforschung hat primär das Ziel, die verschiedenen Elemente des komplexen und ausdifferenzierten Versorgungssystems zu beschreiben und mögliche Zusammenhänge kausal zu erklären. Moderne Entwicklungen in der Systemwissenschaft und Statistik versuchen, diese Konzepte zu operationalisieren und die so entwickelten Strategien in komplexen Sachverhalten einzusetzen. So sind Bayesianische Netze handhabbare Strukturen um diese Komplexität zu analysieren. Bayes'sche Netze sind Darstellungen wahrscheinlichkeitstheoretischer Zusammenhänge von Variablen in Form von gerichteten azyklischen Graphen. Hierbei entsprechen die Knoten den Variablen und die Kanten den dazugehörigen Abhängigkeiten. Diese Art der graphischen Darstellung erlaubt es, Inferenz über eine große Anzahl von Variablen zu betreiben indem man bedingte Wahrscheinlichkeiten lokal berechnet (Parameterlernen). Außerdem ist es möglich, eine geeignete Netzstruktur direkt aus einem gegebenen Datensatz abzuleiten (Strukturlernen).
Inwieweit solche Denkrichtungen sichtbare Fortschritte in der praktischen Versorgungsforschung bringen werden und wieweit sich daraus hilfreiche Instrumente ableiten lassen, ist das Spannende an der bevorstehenden Entwicklung.