Herausforderungen für die Versorgungsforschung an der Fakultät Pflege an der Katholischen Stiftungsfachhochschule in München

 

1. Forschungsstrukturen

Die Vielfalt und Breite der Gesundheits- und Therapieberufe in der Versorgungsforschung kann nur dann angemessen abgebildet und hinsichtlich ihrer Evidenz erforscht werden, wenn Strukturen vorhanden sind, die fachspezifische Forschung ermöglichen. Die geht hier mit der Etablierung des „Kompetenzzentrums Zukunft Alter“ neue Wege. In diesem Forschung- und Entwicklungszentrum werden die Forschungsexpertisen der Hochschule gebündelt. Durch einen dauerhaft finanzierten Mitarbeiterstab an Forschungs- und Verwaltungsmitarbeitenden können Forschungsprojekte effektiv beantragt und durchgeführt werden. Das Forschungsteam arbeitet interdisziplinär und ist mit Praxispartnern aus dem Gesundheits- und Sozialwesen gut vernetzt.

2. Forschungsmethoden

So breit wie das professionelle Verständnis der beruflich Pflegenden, so vielfältig sind auch die in der Hochschule genutzten Forschungsmethoden. Ganz umfangreich werden hier Methodendebatten geführt, die auch für andere Professionen in der Versorgungsforschung hilfreich sein könnten, zum Beispiel zur Gegenstandsangemessenheit von Erhebungs- und Auswertungsmethoden. Dabei wird festgestellt, dass gerade für die Erfassung verhaltensbezogener Outcomes, zum Beispiel von herausforderndem Verhalten bei Dementen oder die Erfassung von "patient reported outcomes" bei Personen mit Kommunikationsstörungen, fachspezifische Weiterentwicklungen notwendig sind. Hier besteht ein Weiterentwicklungspotential – nicht im Sinne einer Adaptation von Methoden der Nachbardisziplinen – sondern im Sinne einer fachspezifischen Entwicklung eines Methodenkanons, der idealerweise auch angemessene längsschnittliche Forschungsmethoden inkludieren muss (Bartholomeycik & Halek, 2011). Grundsätzlich erlebt die Diskussion der Angemessenheit der Forschungsmethoden und Forschungsdesigns zum Nachweis der Wirksamkeit komplexer Interventionen derzeit starken Aufwind. Viele pflegerische Konzepte basieren auf einem fallorientierten Interventionsverständnis, das eine strenge Kontrolle der Bedingungen und relevanten Variablen im Sinne einer randomisiert kontrollierten Studie erschwert. Auch hier bedarf es fachspezifischer Weiterentwicklungen von methodischen Standards und Leitlinien, die auch die Versorgungsforschung betreffen.

3. Inhalte

Eine Versorgungforschung, die auch die Fachkenntnisse der Gesundheitsfachberufe beachtet, muss vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen Forschungsaktivitäten bündeln. Sucht man zwischen den Interessen/Forschungsfelder der KSH und den in der Literatur beschriebenen Forschungsthemen Schnittmengen, so werden folgende Aktionsfelder deutlich:

  • Versorgungssituation von Personen mit alterskorrelierten Veränderungen: Hier ist insbesondere der Versorgung, Betreuung und Pflege von Menschen mit dementiellen Symptomen vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken. Es bedarf einer verstärkten Forschung im Bereich der Akutversorgung (Stichworte: Demenz als Nebendiagnose im Akutkrankenhaus), im Bereich der stationären Altenpflege (Stichworte: segregativer vs. integrativer Ansatz) und im Bereich der frühzeitigen gemeindeorientierten Versorgung. Letzteres ist insbesondere für die Soziale Arbeit, die Pflege und die Gerontopsychiatrie ein wichtiges Aktionsfeld, da diese Professionen wesentlich an der Versorgungssteuerung auf der Ebene der Gemeinden interessiert sind und hierzu auch präventive Angebote entwickeln können (Gutzmann 2011). Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise muss dabei auch die Angehörigenbetreuung beachtet werden. Über die Wirkung der Angehörigenpartizipation und die angemessene Steuerung dieser Ressource im Gesundheitswesen fehlen bisher geeignete Daten (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, 2000)
  • Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen: Der Anteil an Menschen mit intensivierten Hilfebedarf steigt stetig. Dies zwingt zu neuen Formen der Aufgabenverteilung und der sektorenübergreifenden Vernetzung. Bisher mangelt es an Ergebnissen darüber, wie Betroffene den Weg durch das Gesundheitssystem finden und wer die wesentlichen Akteure für die Versorgungssteuerung sein sollen. Gerade für chronisch kranke Menschen erscheint eine Betrachtung der Versorgungspraxis über Sektoren und über Professionen hinweg hilfreich.
  • Prävention in allen Altersgruppen: Ein wichtiges Aktions- und Forschungsfeld ist die Bewertung präventiver Angebote für Kinder, Erwachsene und Senioren. Da Beratung, Anleitung und Psychoedukation umfangreiche Ausbildungs- und Studieninhalte sind, ist der Beitrag der beruflich Pflegenden intensiver in den Blick zu nehmen. Hinsichtlich der Nutzerinnen und Nutzer bedarf es einer Weitung von Patientinnen/Patienten hin zu den bisher in der Versorgungsforschung benachteiligten Gruppen, wie Obdachlose, Wohnungslose und Migrantinnen/Migranten. Deren unzureichender Zugang zu Versorgungssystemen stellte auch die Versorgungsforschung vor Probleme, da der Zugang zu diesen Betroffenen erschwert ist. Mit der Aktionsforschung und ethnografischen Methoden kann hier ein wichtiger Beitrag geleistet werden.

Literatur

Bartholomeyczik S, Halek, M. Herauforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz: Offene Fragen für die Forschung. In: Dibelius O, Maier W. (Hrsg.) Versorgungsforschung für dementiell erkrankte Menschen. Stuttgart: Kohlhammer; 2011: 32-37.
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. Angehörige pflegebedürftiger alter Menschen – Experten im System häuslicher Pflege. Frankfurt: Deutscher Verein; 2000.
Gutzmann H. Die Versorgungssituation der psychisch kranken Älteren in Deutschland: Positionen der Deutschen Gesellschaft für Gertontopsychiatrie- und psychotherapie. In: Stoppe G.: Die Versorgung psychisch kranker alter Menschen. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag; 2011: 305-314.
Reuschenbach B, Cassier-Woidasky AK, Mahler C. et al. Methodennutzung, -präferenz und -fortbildungsbedarfe in der deutschsprachigen Pflegewissenschaft - Ergebnisse einer Online-Befragung. Pflege & Gesellschaft 2012; 17: 197-215.
Simon M. Die gesundheitspolitische Bedeutung anwendungsorientierter Pflegeforschung. Pflege & Gesellschaft 2007; 12 :150- 159.