Neuroenhancement: Doping für das Gehirn

Zusammenfassung

Neuroenhancement ist der Versuch gesunder Personen, ihre geistige Leistungsfähigkeit durch die Einnahme psychoaktiver Substanzen zu steigern. Im Wesentlichen sollen Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis verbessert werden. Aktuell geben 6,7 % der deutschen Erwerbstätigen zwischen 20 und 50 Jahren an, bereits einmal Neuroenhancement praktiziert zu haben – Tendenz steigend. Die am häufigsten verwendeten Substanzen sind Koffein, Ginkgo biloba, Methylphenidat, Amphetamine und Modafinil, aber auch Antidementiva und Antidepressiva bis zu illegalen Drogen wie Speed oder Ecstasy kommen zum Einsatz. Eine Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit bei Gesunden ist tatsächlich nur für die Substanzen Koffein, Methylphenidat, Amphetamine und Modafinil nachgewiesen, wobei die Wirkung im Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen kann: Je niedriger die Leistungsfähigkeit zu Beginn der Einnahme ist, desto mehr profitiert die jeweilige Person davon. Bei Personen auf bereits hohem Leistungsniveau kann die Einnahme von Neuroenhancern sogar kontraproduktiv sein und zu einer Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit führen.
Unabhängig von den Effekten beim Einzelnen haben die genannten Stimulanzien teilweise erhebliche körperliche Nebenwirkungen und ein mehr oder weniger ausgeprägtes Abhängigkeitspotential. Veränderungen und Anpassungen des Hirnstoffwechsels erfordern in der Regel sehr schnell eine Regelmäßigkeit der Einnahme und eine Dosissteigerung. Daneben können Neuroenhancer auch einen erheblichen Einfluss auf Emotionen und Stimmungen haben, so dass bei einer dauerhaften Einnahme vor allem soziale Kontakte und zwischenmenschliche Beziehungen häufig vernachlässigt werden.
Die Studienlage zum Einsatz von Neuroenhancern bei Gesunden hinsichtlich Wirkungen, Nebenwirkungen und Langzeiteffekten ist insgesamt schlecht, so dass eine umfassende Bewertung dieser Substanzen schwierig ist. Von einer leichtfertigen, insbesondere langfristigen Anwendung durch Gesunde wird daher dringend abgeraten! Letztlich handelt es sich bei der Einnahme von Arzneimitteln ohne medizinische Notwendigkeit um einen Arzneimittelmissbrauch – der von zahlreichen negativen, sowohl physischen als auch psychischen (Aus-)Wirkungen begleitet werden kann.

Definitionen

Der Versuch, die geistige Leistungsfähigkeit gesunder Personen durch die Einnahme psychoaktiver Substanzen aller Art zu steigern, wird als „(pharmakologisches) Neuroenhancement“ oder auch „Cognitive Enhancement“ bezeichnet (Englisch enhancement: Steigerung, Verbesserung). Der Gebrauch von Neuroenhancern zielt im Wesentlichen auf die Verbesserung geistiger Funktionen wie Wachheit, Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis und Motivation.

Der Begriff „Gehirndoping“ beschreibt den Gebrauch einer Untergruppe dieser psychoaktiven Substanzen, die verschreibungspflichtig sind oder bei denen es sich um Betäubungsmittel handelt und deren Anwendung durch Gesunde einen Missbrauch darstellt. Der Begriff Gehirndoping lehnt sich somit an den Doping-Begriff im Sport an, der die Anwendung zahlreicher Substanzen zur körperlichen Leistungssteigerung im Sport untersagt.

Die Einnahme von nicht verschreibungspflichtigen OTC („over the counter“)-Arzneimitteln wird gelegentlich als „Soft-Enhancement“ bezeichnet, das auch die Einnahme von homöopathischen Mitteln umfasst.

Eine weitere Unterdefinition ist das „Mood Enhancement“ (Englisch mood: Stimmung, Gemütslage). Dies beschreibt die Einnahme von Substanzen, überwiegend Antidepressiva, die emotionale Funktionen und damit das psychische Wohlbefinden beeinflussen sollen. Dahinter steht die Absicht, die Stimmung zu heben, Stress zu vermeiden oder soziale Ängste abzubauen, um damit in Gesellschaft „gefälliger“ und selbstsicherer aufzutreten.

Darüber hinaus existieren auch nicht-pharmakologische Methoden zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit wie z. B. die Lichttherapie, die transkraniale Magnetstimulation, Elektrokrampftherapie, Vagusnervstimulation, Tiefenhirnstimulation oder Neuroimplantate, die hier jedoch nicht diskutiert werden.

Anfänge und aktuelle Verbreitung

Der Gebrauch von Mitteln, die den Wachzustand und die geistige Leistungsfähigkeit beeinflussen, ist kein neues gesellschaftliches Phänomen. Seit jeher versuchen Menschen, durch den Einsatz verschiedenster Substanzen sowohl ihre körperliche als auch ihre geistige Leistungsfähigkeit zu verbessern. Indios kauen Koka-Blätter, Asiaten Betel, und Matrosen wurden seit Jahrhunderten mit Rum bei Laune gehalten. Gerade der Konsum von Alkohol und Kaffee ist verbreitet und weitgehend gesellschaftlich akzeptiert.

Neue Möglichkeiten, die geistige Leistungsfähigkeit zu beeinflussen, wurden jedoch durch die Entwicklung von sogenannten Psychostimulanzien eröffnet, wie den Amphetaminen in den 1930er Jahren, den Antidepressiva in den 1950er Jahren oder Modafinil und Mitteln gegen Demenz (Antidementiva) in den 1990er Jahren.

Für Aufsehen sorgte eine 2008 veröffentlichte Online-Umfrage der renommierten Fachzeitschrift Nature unter rund 1400 Wissenschaftlern aus 60 Ländern. Etwa 20 % von ihnen gaben an, selbst schon einmal verschreibungspflichtige Präparate eingenommen zu haben, um ihre Konzentration und Aufmerksamkeit zu steigern (Quelle: Maher. Nature 2008; 452: 674-675).

In Deutschland führte die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) 2009 eine repräsentative Umfrage für den DAK-Gesundheitsreport durch. 3000 Erwerbstätige zwischen 20 und 50 Jahren wurden dabei zu ihrer Einnahme von Psychopharmaka und zum Umgang mit Stressbelastung am Arbeitsplatz gefragt. 4,7 % der Befragten gaben an, ohne medizinische Notwendigkeit leistungssteigernde Substanzen eingenommen zu haben oder einzunehmen. (Quelle: DAK-Gesundheitsreport 2009. 37-90)

Die Befragung wurde 2015 mit 5000 repräsentativ ausgewählten Erwerbstätigen im gleichen Altersbereich wiederholt. Nun gaben 6,7 % der Befragten an, schon einmal Gehirndoping praktiziert zu haben. Etwa 45 % nehmen täglich Arzneimittel ein, 63 % nutzen sie alle zwei Wochen oder häufiger. Dabei stand das psychische Wohlbefinden häufiger im Vordergrund als die Leistungssteigerung, wobei hier geschlechtsspezifische Unterschiede festzustellen waren: Männern kam es eher auf die geistige Leistungssteigerung an, während Frauen auf eine Stimmungsaufhellung und den Abbau von Ängsten und Nervosität zum Ziel hatten. (Quelle: DAK-Gesundheitsreport 2015. 29-121)

Die Zunahme des pharmakologischen Neuroenhancement spiegelt die gestiegenen Anforderungen der heutigen Arbeitswelt wider. Berufstätigen werden in hohem Maße psychische Belastbarkeit, Stress-Resistenz, hohe Konzentrationsfähigkeit und schnelles Reaktionsvermögen abverlangt. Aus diesem Grund finden sich unter den Anwendern von Neuroenhancement nicht mehr nur Künstler und Intellektuelle, sondern Banker, Manager, Softwareentwickler, Wissenschaftler, Ärzte und zunehmend auch Schüler und Studenten.

Häufig verwendete psychoaktive Substanzen

Es gibt im Wesentlichen drei Gruppen psychoaktiver Substanzen, die als Neuroenhancer eingesetzt werden:

  • Nicht-verschreibungspflichtige Substanzen bzw. OTC-Arzneimittel: z. B.
    Kaffee/Koffein-Tabletten (Coffeinum®)/koffein-haltige Energy drinks, Ginkgo biloba (Tebonin®)
  • Verschreibungspflichtige Arzneimittel: z. B.
    Methylphenidat (Ritalin®), Dexamfetamin (Attentin®), Modafinil (Vigil®), Antidementiva, Antidepressiva
  • Illegale Substanzen: z. B.
    Amphetamine (Speed, Ecstasy, Crystal Meth)

Koffein

Koffein in Form von Kaffee ist die weltweit am häufigsten verwendete Substanz mit psychoaktiven Eigenschaften.

Tab. 1: Koffein-Gehalte verschiedener Getränke und Lebensmittel
Getränk / Lebensmittel Gehalt (mg)
Filterkaffee, 125 ml 60-100
Espresso, 50 ml 50-60
Tee, 125 ml 25-50
Kakao, 150 ml 2-6
Cola-Getränke, 330 ml 30
Energy Drink, 250 ml 80
Zartbitterschokolade, 150 g 15-115

Das einzige in Deutschland zugelassene koffein-haltige Arzneimittel ist nicht verschreibungspflichtig und enthält 200 mg Koffein pro Tablette, die Tageshöchstdosis beträgt 400 mg. Es wird eingesetzt zur kurzfristigen Beseitigung von Ermüdungserscheinungen. Nebenwirkungen treten in der Regel bei Dosierungen über 200 mg auf und umfassen Kopfschmerzen, Unruhe, Schwitzen, Magen-Darm-Beschwerden, Nervosität, Schlafstörungen/Schlaflosigkeit, Zittern, Bluthochdruck, Beschleunigung des Herzschlags, Herzrhythmusstörungen und Übelkeit.
Regelmäßige Koffein-Konsumenten entwickeln eine milde Abhängigkeit von der Substanz. Entzugssymptome sind Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Schläfrigkeit, Konzentrationsstörungen und Reizbarkeit. Allerdings ist nicht zu unterschätzen, dass Energy Drinks gerade von Jugendlichen und jungen Erwachsenen häufig in Kombination mit Alkohol konsumiert werden und somit deren Missbrauch gemeinsam mit Alkohol zu Abhängigkeit führen kann.

Wirkung als Neuroenhancer

Wie alle Stimulanzien steigert Koffein die Aufmerksamkeit und Wachheit (Dosis 50 bis 600 mg/Tag), dabei entfaltet es seine Wirkungen vor allem bei Probanden mit Schlafentzug und erschöpften Probanden. Reaktionszeiten werden verkürzt, und die Gedächtnisleistung wird gesteigert, allerdings nur bei Aufgaben mit moderatem Schwierigkeitsgrad. Bei komplexen Aufgaben kann Koffein sogar leistungsmindernd wirken.

Ginkgo biloba

In Deutschland sind Ginkgo biloba-Präparate als nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel erhältlich. Ginkgo-Extrakt ist unter anderem zur symptomatischen Behandlung von Beschwerden bei hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen bei demenziellem Syndrom zugelassen. Die übliche Dosierung beträgt bis zu 240 mg Ginkgo-Extrakt täglich. Zu den beschriebenen Eigenschaften gehören neuroprotektive, antioxidative und durchblutungsfördernde Wirkungen. Als Nebenwirkungen können leichte allergische Hautreaktionen und Wechselwirkungen mit Gerinnungshemmern auftreten.
Die Entwicklung einer Abhängigkeit ist für Ginkgo biloba nicht bekannt.

Wirkung als Neuroenhancer

Die Auswertung zahlreicher Studien mit Ginkgo-Extrakten zeigte keine Verbesserung von Wachheit, Aufmerksamkeit, Reaktionszeit, Gedächtnis oder der subjektiven Selbsteinschätzung bei Gesunden, unabhängig von der eingenommenen Dosis.

Methylphenidat und Amphetamine

Methylphenidat und Dexamfetamin sind in Deutschland zugelassen zur Behandlung der Aufmerksamkeits-Defizin-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) und unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz. Daneben werden auch Amphetamine in Form illegaler und nicht verkehrsfähiger Drogen (Speed, Ecstasy, etc.) als Neuroenhancer missbraucht.
Die maximale Tagesdosis darf 60 mg Methylphenidat bzw. 20 mg Dexamfetamin nicht überschreiten. Die Liste der Nebenwirkungen ist lang: Überempfindlichkeitsreaktionen, Magen-Darm-Beschwerden, Appetitminderung, Kopfschmerzen, Schwindel, innere Unruhe, Schlafstörungen, Nervosität, Übelkeit, Erbrechen, Zittern, Schweißausbrüche und Hitzewallungen, Delirium-ähnliche Zustände mit Halluzinationen, Bluthochdruck, Beschleunigung des Herzschlags, Herzrhythmusstörungen bis zum plötzlichen Herztod, zerebrale Krampfanfälle, etc. Als sehr häufige Nebenwirkung werden sogar Konzentrationsstörungen angegeben. Bei Kindern wurde bei längerfristiger Einnahme von Methylphenidat eine Verminderung der Gewichtszunahme und des Längenwachstums beobachtet. Ein weiteres Risiko der Einnahme dieser Stimulanzien liegt darin, dass sie psychische Erkrankungen wie Manien mit Symptomen wie irrealer Euphorie und Selbstüberschätzung oder Psychosen auslösen können.
Wie alle Stimulanzien können Methylphenidat und Amphetamine insbesondere zu psychischen Abhängigkeiten führen. Beim Absetzen/Entzug von Stimulanzien vom Amphetamin-Typ ist eine mehr oder weniger lange Episode von depressiven Verstimmungen, begleitet von starkem Drogenverlangen („Craving“) zu beobachten.

Wirkung als Neuroenhancer

Für keine andere Substanzklasse sind die kognitionsfördernden Eigenschaften bei Gesunden so gut belegt wie für Amphetamine und Methylphenidat, auch wenn die Wirkungen im Mittel eher moderat ausfallen.
Amphetamine steigern die Wachheit, (Dauer-)Aufmerksamkeit, Konzentration und verkürzen die Reaktionszeiten. Wie Koffein wirken Amphetamine der Leistungsverminderung nach Schlafentzug entgegen. Dies machte man sich schon im 2. Weltkrieg bei langandauernden Einsätzen von Piloten zunutze.
Methylphenidat verbessert aktuellen Untersuchungen zufolge die Aufmerksamkeit und Wachheit, die Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie schlussfolgerndes Denken und Problemlösekompetenzen; die Effekte sind wiederum bei Probanden mit Schlafmangel stärker. Insgesamt scheint Methylphenidat überwiegend die Fokussierung der Hirnaktivität zu unterstützen. Daher scheint es kein eigentlicher Neuroenhancer zu sein, sondern eher eine Fokussierung der Hirnaktivität auf spezifische Aufgaben zu bewirken, indem zusätzliche, „überflüssige“ Hirnaktivität unterdrückt wird.

Modafinil

In Deutschland ist Modafinil verschreibungspflichtig und zur Behandlung exzessiver, krankhafter Tagesmüdigkeit bei Narkolepsie zugelassen. Die Zulassung für die Behandlung des chronischen Schichtarbeitersyndroms und des Schlafapnoesyndroms hat die Substanz aufgrund eines zu schlechten Nutzen-Risiko-Verhältnisses verloren. Täglich sollten maximal 400 mg Modafinil eingenommen werden. Zu den am häufigsten auftretenden Nebenwirkungen gehören verminderter Appetit, Kopfschmerzen, Nervosität, Schlaflosigkeit, Angst, Depression, Denkstörungen, Verwirrtheit, Reizbarkeit, Schwindelgefühl, verschwommenes Sehen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Mundtrockenheit, Durchfall, Verstopfung, Brustschmerzen, Beschleunigung des Herzschlags, Herzklopfen, Bluthochdruck und viele weitere.
Ein Abhängigkeitspotential ist für Modafinil bisher nicht beschrieben worden.

Wirkung als Neuroenhancer

Verschiedene Untersuchungen zeigen die kognitionsfördernden Eigenschaften von Modafinil bei Gesunden, dies gilt insbesondere wieder nach Schlafentzug. Im Einzelnen konnten Verbesserungen des Gedächtnisses, bei der Planung komplexer Leistungen, der Daueraufmerksamkeit, Konzentration, Genauigkeit und der Reaktionsgeschwindigkeit gezeigt werden.

Vergleich Koffein, Dexamfetamin, Modafinil

Es gibt nur drei kleinere vergleichende Studien, die die Wirkungen verschiedener psychoaktiver Substanzen auf die kognitive Leistungsfähigkeit bei Gesunden untersuchen. Es wurden die Effekte von 600 mg Koffein, 20 mg Dexamfetamin und 400 mg Modafinil auf gesunde Personen mit Schlafentzug untersucht, die Substanzen wurden dabei als Einmaldosis verabreicht. Alle drei Stimulanzien steigerten die (Dauer-)Aufmerksamkeit der Probanden, es fanden sich keine wesentlichen Wirkunterschiede.

In zahlreichen Veröffentlichungen wird daraus der Schluss gezogen, dass eine hohe Dosis Koffein die gleiche Wirksamkeit auf die kognitive Leistungsfähigkeit hat wie synthetische Stimulanzien und daher als wirksame und sichere Alternative zu diesen Substanzen gesehen werden kann. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Wirkdauer von Koffein deutlich kürzer ist und dass die erforderlichen Koffein-Dosierungen, um vergleichbare Wirkungen wie Modafinil und Dexamfetamin zu erzielen, mit erheblichen Nebenwirkungen einhergehen.

Antidementiva

Zur Gruppe der Antidementiva gehören zwei Substanzklassen mit unterschiedlichem Wirkmechanismus. Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sind Acetylcholinesterase-Inhibitoren und in Deutschland als verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Behandlung der milden bis mittelschweren Alzheimer-Demenz zugelassen. Ebenfalls verschreibungspflichtig ist der Wirkstoff Memantin, ein NMDA (N-Methyl-D-Aspartat)-Partialantagonist zur Behandlung der mittelgradigen bis schweren Alzheimer-Demenz. Typische Nebenwirkungen der Antidementiva sind Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Kopfschmerzen, Schwindel, Schwächegefühl, Appetitlosigkeit, Zittern, Harninkontinenz und dosisabhängig Halluzinationen, Verwirrtheit, Erregungszustände und aggressives Verhalten.
Die Entwicklung einer Abhängigkeit ist für die genannten Substanzen nicht bekannt.

Wirkung als Neuroenhancer

Die Zulassung bei dementiellen Erkrankungen veranlasst offensichtlich zu der Annahme, dass auch Gesunde ihre kognitiven Fähigkeiten durch die Einnahme dieser Substanzen verbessern könnten. Untersuchungen zur Wirksamkeit auf die geistige Leistungsfähigkeit von Gesunden liegen nur für Rivastigmin, Donepezil und Memantin vor. Im Allgemeinen konnte keine relevante Steigerung der Wachheit, Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnisleistung und Reaktionszeit festgestellt werden, teilweise ergab sich sogar eine Verschlechterung von Reaktionszeiten und Gedächtnis.
Lediglich in einer sehr kleinen Studie an 18 gesunden Piloten konnten diese komplexe Aufgaben im Flugsimulator nach einer 30 Tage dauernden Einnahme von Donepezil besser durchführen. Interessant ist, dass schon die Einmalgabe eines Nikotinkaugummis zu vergleichbaren Wirkungen führte.

Antidepressiva

Aus der Gruppe der Antidepressiva werden überwiegend selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer als Neuroenhancer eingesetzt. Dazu gehört der Wirkstoff Fluoxetin, in Deutschland ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel zur Behandlung von Episoden einer schweren Depression. Die Tagesdosis sollte höchstens 60 mg betragen. Häufigste Nebenwirkungen sind verminderter Appetit und Gewichtsverlust, Nervosität, Ruhelosigkeit, Angst, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Aufmerksamkeitsstörungen, Schwindel, Benommenheit, verschwommenes Sehen, Störungen der Sexualfunktion und gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung. Überdosierungen können zum gefährlichen sogenannten serotonergen Syndrom mit beschleunigtem Herzschlag, Bluthochdruck, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Unruhe, Halluzinationen, Zittern und Krampfanfällen führen, begleitet von Verwirrtheit und Benommenheit bis hin zum Koma.
Ein Abhängigkeitspotential ist für Antidepressiva nicht bekannt.

Wirkung als Neuroenhancer

Der Einsatz von Antidepressiva bei Gesunden zielt überwiegend auf ein „mood enhancement“ ab, also die Verbesserung der Stimmung und der sozialen Funktionsfähigkeit. Es gibt jedoch keine Untersuchungen, die diese Effekte bei Gesunden nachweisen konnten. Daher überwiegen hier die zahlreichen Nebenwirkungen dieser Arzneimittel.

Bewertung

Eine Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei Gesunden ist tatsächlich nur für die Substanzen Koffein, Methylphenidat, Amphetamine und Modafinil nachgewiesen. Im Mittel sind diese Wirkungen eher moderat. Im Einzelfall sind jedoch stärkere Wirkungen möglich: In Abhängigkeit von den genetischen Voraussetzungen spricht jeder Proband mehr oder weniger stark auf die unterschiedlichen Substanzen an. Die Wirkung der Stimulanzien ist darüber hinaus abhängig von der kognitiven Ausgangssituation: Bei Personen am unteren Rand des Leistungsspektrums ist eine deutlich stärkere Leistungssteigerung zu erwarten als bei Personen mit bereits zu Beginn sehr hohem Leistungsniveau. Bei letzteren kann die Einnahme von Neuroenhancern sogar kontraproduktiv sein und zu einer Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit führen!

Unabhängig von der Wirkstärke beim Einzelnen sind die Effekte angesichts der Nebenwirkungen und des Abhängigkeitspotentials psychoaktiver Substanzen unter Umständen durch erhebliche gesundheitliche Nachteile erkauft. Daher ist es fraglich, ob der Einsatz von Neuroenhancern einen echten, anhaltenden Gewinn bedeutet. Die beschriebenen Substanzen greifen immerhin an einem hochempfindlichen Organ an, dessen Stoffwechseleinstellungen und Regenerationsmechanismen sich über einen sehr langen Zeitraum entwickelt und eingespielt haben.

Gerade bei gesunden Personen sind längerfristige Auswirkungen des Konsums dieser Stimulanzien und Probleme beim Absetzen bzw. Entzug noch nicht untersucht. Durch die rasche Gewöhnung der Rezeptoren im Gehirn kommt es in der Regel sehr schnell zu einer Anpassung an die jeweilige Substanz. Dies erfordert dann eine Regelmäßigkeit der Einnahme und häufig auch eine Steigerung der für die Wirkung erforderlichen Dosis, um Konzentrations- und Leistungsvermögen aufrecht zu erhalten. Im Zuge von Veränderungen des Hirnstoffwechsels ist jedoch mit Konzentrationsstörungen, rascher Ermüdbarkeit, Angst, Schlaflosigkeit und anhaltenden depressiven Verstimmungen zu rechnen – genau den Erscheinungen, denen durch die Einnahme von Stimulanzien entgegengewirkt werden soll.
Nicht selten werden parallel Alkohol und/oder Sedativa (Beruhigungsmittel) eingesetzt, um abends zur Ruhe zu kommen und zumindest einige Stunden schlafen zu können. Langfristig kann daraus eine kombinierte Abhängigkeit von leistungssteigernden Substanzen sowie Alkohol, Schmerz- oder Beruhigungsmitteln resultieren.

Die meisten der bisher vorgelegten Studien nehmen keinen Bezug auf mittel- und langfristige Effekte – von Einbußen in anderen Bereichen des Erlebens und Verhaltens ganz zu schweigen. Denn neben den erwünschten leistungssteigernden Wirkungen können Neuroenhancer auch einen erheblichen Einfluss auf Emotionen, Affekte (Stimmungen) und Sensorik haben.
So berichten zum Beispiel Probanden und Patienten unter der Einnahme von Methylphenidat, dass die Fokussierung auf die jeweilige Aufgabe dazu führt, dass alles andere als zweitrangig betrachtet wird. Dies beträfe vor allem Gefühle, Kreativität, Stimmungen und soziale Kontakte. Das Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Beziehungen, die Lust und Neugier auf neue Erfahrungen wären stark eingeschränkt. Sie agierten zwanghaft im Hinblick auf die jeweils fokussierte Aufgabe und unentschlossen in allen anderen Lebensbereichen.
Neurobiologen warnen davor, dass die frühe Einnahme von Methylphenidat im Kindesalter dazu führen kann, dass die Betroffenen nicht lernen, ihre Stimmungen zu kontrollieren, da sie praktisch keine mehr haben.

Der Mangel an Studien zur Wirksamkeit bei Gesunden ist schon auffallend, psychologische und soziologische Untersuchungen fehlen jedoch komplett. Diese wären allerdings notwendig, um eine umfassende Bewertung des Einsatzes von Neuroenhancern bei Gesunden vorzunehmen. Von einer leichtfertigen, insbesondere langfristigen Einnahme psychoaktiver Substanzen wird daher dringend abgeraten!

Das Verführerische am Neuroenhancement ist, dass die Anwendung psychoaktiver Substanzen meist gar nicht als Problem gesehen wird, da die Leistungssteigerung positiv besetzt ist. Saloppe Begriffe wie Gehirndoping oder Neuroverstärker können sehr leicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Einnahme von Arzneimitteln ohne therapeutische/medizinische Notwendigkeit letztlich um Arzneimittelmissbrauch handelt – der von zahlreichen negativen, sowohl physischen als auch psychischen (Aus-)Wirkungen begleitet sein kann.

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