Acrylamid – Kontrolle der Richtwerte durch Erfassung von Herstellermaßnahmen

Signet Jahresbericht 2021/22

Zusammenfassung

Um den Gehalt des gesundheitlich bedenklichen Prozesskontaminanten Acrylamid in Lebensmitteln zu reduzieren, müssen Hersteller bestimmter Produkte EU-weit festgelegte Minimierungsmaßnahmen durchführen und je nach Betriebsgröße bzw. -art ihre Produkte regelmäßig auf Acrylamid untersuchen. Festgelegt sind diese Vorschriften in der seit 2018 gültigen Verordnung (EU) 2017/2158 zur Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln. Hierin sind außerdem für verschiedene Lebensmittelgruppen Richtwerte für den Acrylamidgehalt festgelegt, die bei der Herstellung nicht überschritten werden sollen. Das LGL überprüfte die Einhaltung dieser Vorgaben systematisch bei ausgewählten bayerischen Herstellern verschiedener Lebensmittelgruppen (Röstkaffee, Kartoffel- und Getreideerzeugnisse) in einem Schwerpunktprogramm. Dabei zeigte sich, dass die Verordnung und die darin enthaltenen Pflichten längst nicht allen Betrieben bekannt waren. Die am LGL untersuchten Produkte hielten die Richtwerte jedoch bis auf wenige Ausnahmen ein.

Acrylamid-Bildung und Minimierung

Werden kohlenhydrathaltige Lebensmittel bei hohen Temperaturen trocken erhitzt, so bildet sich unter bestimmten Bedingungen als Nebenprodukt der Prozesskontaminant Acrylamid. Aufgrund seiner potentiell krebserregenden Eigenschaft ist diese Verbindung in Lebensmitteln unerwünscht und sollte so weit wie möglich in den Lebensmitteln reduziert werden. Möglichkeiten zur Reduzierung der Acrylamidbildung betreffen unter anderem die Wahl der Rohstoffe und die Rezeptur sowie die Bedingungen der Erhitzung. In den meisten Fällen gilt dabei: je heißer und länger erhitzt wird, desto mehr Acrylamid bildet sich.

Ausgangsstoffe für die Acrylamidbildung sind bestimmte Zucker wie Frucht- und Traubenzucker (sogenannte reduzierende Zucker) sowie der Eiweißbaustein Asparagin. Hohe Gehalte der genannten Ausgangsstoffe in einem Lebensmittel begünstigen die Acrylamidbildung. Ebenso stellt auch ein hoher pH-Wert eine ungünstige Voraussetzung dar.

Um die Acrylamid-Aufnahme durch den Verzehr von entsprechenden Lebensmitteln zu reduzieren, erließ der Gesetzgeber mit der Verordnung (EU) 2017/2158 zur Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln Vorgaben für Hersteller bestimmter Produkte. Die Verordnung gilt seit April 2018 und verpflichtet die Unternehmen zu bestimmten Minimierungsmaßnahmen, die alle entscheidenden Prozessschritte betreffen. Wie umfangreich die Minimierungsmaßnahmen sind, hängt dabei von der Art des Unternehmens ab. Für Einzelhandelsunternehmen bzw. Hersteller, die nur den örtlichen Einzelhandel beliefern (beispielsweise ein lokaler Bäcker, hier im Allgemeinen als Kleinunternehmen bezeichnet), gelten weniger umfangreiche Minimierungspflichten als für industrielle Hersteller (hier als Großunternehmen bezeichnet). Dazwischen gibt es die Kategorie der Einzelhandelsunternehmen, die als Teil oder Franchisenehmer größerer vernetzter Wirtschaftstätigkeiten unter zentraler Anweisung tätig sind, wie etwa Betriebe der Systemgastronomie.

Die Verordnung verpflichtet die Unternehmen nicht nur zu Minimierungsmaßnahmen, sondern auch zu Eigenkontrollen und Dokumentationen, ebenfalls in Abhängigkeit von der Unternehmensart. Daneben legt die Verordnung für die verschiedenen Lebensmittel Richtwerte fest, die es einzuhalten gilt. Überschreitet der Acrylamidgehalt eines Produkts den festgelegten Richtwert, so müssen die Herstellungsprozesse optimiert werden.

Schwerpunktprogramm 2021

In einem Schwerpunktprogramm prüfte das LGL 2021, inwiefern bayerische Hersteller die Vorgaben der Verordnung (EU) 2017/2158 umsetzen. Die Kernfragen waren dabei:

  • Werden die erforderlichen Minimierungsmaßnahmen umgesetzt und die Richtwerte eingehalten?
  • Werden entsprechend der Verordnung Eigenuntersuchungen durchgeführt und dokumentiert?

Um diese Fragen umfassend beantworten zu können, wurden amtliche Proben zur Untersuchung des Acrylamidgehalts durch die Lebensmittelüberwachung vor Ort entnommen und am LGL untersucht.

Mit eigens erstellten Checklisten (für Kleinbetriebe, Systemgastronomie, industrielle Hersteller) sollten die Minimierungsmaßnahmen und Eigenkontrollen der Hersteller in Abhängigkeit von der Unternehmensart und der Lebensmittelkategorie systematisch erfasst werden. Vor der Probenahme stimmte das LGL mit den Behörden vor Ort den Umgang mit den Checklisten ab. Vorher führte das LGL außerdem Betriebsrecherchen durch, um zielgerichtet relevante bayerische Hersteller zu ermitteln. Dabei fokussierte man sich auf folgende Lebensmittelkategorien mit dem Ziel, jeweils sowohl Klein- als auch Großunternehmen zu erfassen:

  • Röstkaffee
  • Frittierte Kartoffelprodukte
  • Frühstückscerealien
  • Lebkuchen
  • Sonstige Getreideprodukte

Das LGL untersuchte die Proben auf Ihren Acrylamidgehalt und wertete die ausgefüllten Checklisten aus.

Die Abbildung zeigt ein Foto, auf dem eine Schüssel Kartoffelchips, eine Tasse voll Kaffeebohnen und ein Teller mit Oblatenlebkuchen zu sehen ist. In einer Sprechblase über den Lebensmitteln ist die chemische Struktur von Acrylamid abgebildet.

Abbildung 1: Kartoffelchips, Lebkuchen und Röstkaffee als Beispiele für relevante Lebensmittel, in denen Acrylamid gebildet wird.

Ergebnisse

Röstkaffee:

Es wurden insgesamt elf Kaffeeröstereien kontrolliert. Bei sieben handelte es sich nach der Angabe auf der Checkliste um Kleinunternehmen, vier waren als industrielle Hersteller bezeichnet. Für Röstkaffee-Kleinunternehmer sieht die Verordnung (EU) 2017/2158 keine konkreten Minimierungsmaßnahmen vor. Großhersteller müssen insbesondere die Röstbedingungen optimieren und überwachen. Alle untersuchten Kaffeeproben unterschritten den Acrylamid-Richtwert in Höhe von 400 µg/kg deutlich, sodass die durchgeführten Minimierungsmaßnahmen als ausreichend betrachtet werden konnten. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Röstbedingungen auch bei Kleinunternehmen bereits sehr gut optimiert und standardisiert sind, sodass eine Einhaltung der Richtwerte kein Problem darstellt. Ein Hersteller, der als Großbetrieb angeführt wurde, gab an, keine Eigenkontrollen durchzuführen. Aufgrund der Zweifel an der Einstufung als Großbetrieb wies das LGL per Sachverständigenäußerung auf die Verpflichtung zu Eigenkontrollen für Großbetriebe hin. Gleichzeitig bat es auch darum, die Einstufung zu prüfen, da Kleinunternehmen von einer Eigenuntersuchungspflicht ausgenommen sind. Alle anderen Großunternehmen kamen ihren Eigenkontrollpflichten nach.

Frittierte Kartoffelprodukte:

Unter den insgesamt kontrollierten und beprobten 15 Herstellern von frittierten Kartoffelprodukten gab es einen industriellen Hersteller von Kartoffelchips, die restlichen 14 Betriebe waren Hersteller von Pommes frites, darunter neun Kleinunternehmer und fünf Betriebe der Systemgastronomie. Die Verordnung (EU) 2017/2158 sieht für Hersteller von frittierten Kartoffelerzeugnissen eine Vielzahl an Minimierungsmaßnahmen vor, welche insbesondere die Auswahl der Kartoffelsorte, die Vorbehandlung der rohen Kartoffeln, die Frittiertemperatur und den Bräunungsgrad betreffen.

Für Kartoffelchips liegt der Acrylamid-Richtwert bei 750 µg/kg, die untersuchte Probe Kartoffelchips von dem oben erwähnten Hersteller lag mit 281 µg/kg weit darunter. Der Großhersteller der Kartoffelchips kam sowohl seinen Minimierungs- als auch Eigenkontrollpflichten umfassend nach.

Bei den untersuchten Pommes frites lag eine Probe mit 553 µg/kg über dem Richtwert von 500 µg/kg und wurde entsprechend beurteilt. Die Probe fiel bereits durch ihre stärkere Bräunung auf. Die restlichen Proben hielten den Richtwert ein und waren unauffällig. Auch wenn mehrere Betriebe angaben, dass ihnen die Verordnung zur Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln unbekannt war, reichen die aufgrund anderer Informationen durchgeführten Minimierungsmaßnahmen somit aus, um die Richtwerte einzuhalten. Die Pflicht zur Probenahme und Analyse im Rahmen von Eigenkontrollen schließt neben Großherstellern auch die Systemgastronomie ein. Die Eigenuntersuchung kann dabei zentral erfolgen. In den Checklisten der Systemgastronomie-Betriebe war häufig angegeben, dass unbekannt war, ob ggf. zentrale Eigenuntersuchungen durchgeführt werden. In diesen Fällen wies das LGL auf die Untersuchungspflicht hin und empfahl den Lebensmittelüberwachungsbehörden, entsprechende Informationen anzufordern und einzusehen.

Frühstückscerealien:

Das LGL kontrollierte acht Hersteller von Frühstückscerealien und -riegeln und untersuchte deren Produkte. Es handelte sich überwiegend um industrielle Hersteller. Lediglich ein Hersteller war als Kleinunternehmen angegeben. Je nach Produktart liegen die Richtwerte für Frühstückscerealien nach Verordnung (EU) 2017/2158 bei 150 µg/kg bzw. 300 µg/kg. Die untersuchten Proben wiesen deutlich niedrigere Gehalte auf, sodass sich kein Anlass zur Beanstandung ergab. Die Unternehmen setzten die geforderten Minimierungsmaßnahmen ausreichend um. Ebenso nahmen die Großunternehmer ihre Eigenkontrollpflichten wahr.

Lebkuchen:

Unter den 20 kontrollierten Herstellern von Lebkuchen wurden zehn Betriebe als industrielle Betriebe eingestuft, die zehn weiteren Betriebe als Kleinunternehmen. Bei Lebkuchen hat die Auswahl der Zutaten einen großen Einfluss auf die Acrylamid-Bildung. Das Vorkommen von reduzierenden Zuckern, die etwa in Honig oder Sirupen enthalten sind, wirkt sich negativ aus, ebenso die Verwendung von Hirschhornsalz (Ammoniumhydrogencarbonat) als Backtriebmittel oder der Einsatz anderer Zutaten wie etwa Mandeln. Deshalb sind mitunter eine Reihe an Minimierungsmaßnahmen erforderlich, um die Acrylamidgehalte niedrig zu halten. Den Richtwert von 800 µg/kg überschritt nur eine der untersuchten Lebkuchenproben, die aus diesem Grund zu beanstanden war. Dabei wurde ein Gehalt von 1.701 µg/kg festgestellt. Die Auswertung der Checkliste ist beispielhalft für diese Probe in Abbildung 2 grob skizziert. Als kritische Faktoren wurden sowohl das Backtriebmittel als auch die Menge an reduzierenden Zuckern identifiziert. In allen anderen Fällen gelang es durch die getroffenen Minimierungsmaßnahmen, den gültigen Richtwert einzuhalten. Bei vier von zehn Großbetrieben wies das LGL in Sachverständigenäußerungen auf die fehlenden Eigenkontrollen hin.

Sonstige Getreideprodukte:

Unter den sonstigen Getreideprodukten sind mehrere Produkte zusammengefasst. Untersucht wurden sieben Proben Knäckebrot, drei Proben Brotchips und jeweils Einzelproben Kekse, Croutons, Erdnussflips, Kräcker und Waffelbecher. Die Knäckebrot-Hersteller waren mit einer Ausnahme alle Kleinunternehmen, alle übrigen Produkte wurden in Großbetrieben hergestellt. In drei Fällen musste aufgrund fehlender Eigenkontrollen auf die Pflicht zur eigenen Probenahme und Untersuchung für Großbetriebe hingewiesen werden. Richtwertüberschreitungen stellte das LGL für eine Probe Knäckebrot (Acrylamidgehalt: 354 µg/kg, Richtwert: 350 µg/kg), eine Probe Brotchips (Acrylamidgehalt: 521 µg/kg, Richtwert analog Knäckebrot: 350 µg/kg) sowie eine Probe Waffelbecher (Acrylamidgehalt: 358 µg/kg, Richtwert: 350 µg/kg) fest. Hier ist eine Optimierung der Minimierungsmaßnahmen erforderlich, worauf das LGL in den Gutachten hinwies.

Fazit

Über die Kombination von Probenahme, Einsatz von Checklisten und Acrylamiduntersuchung am LGL gelang es sehr gut, den Ist-Zustand bezüglich der Umsetzung der Verordnung (EU) 2017/2158 in bayerischen Betrieben abzubilden. Dabei zeigte sich, dass die Verordnung in einigen Fällen trotz ihrer mehrjährigen Gültigkeit noch unbekannt war. Fast jeder fünfte Betrieb gab an, dass ihm die Verordnung unbekannt war. Hauptsächlich waren dies kleine Kaffeeröstereien, Bäckereien und Pommes-Imbisse. Auch die Pflichten zur Durchführung von Eigenkontrollen für bestimmte Betriebsarten waren offenbar nicht immer bekannt bzw. wurden anscheinend nicht immer umgesetzt. Hier konnte das Schwerpunktprogramm dazu beitragen, die Wissenslücke bei den betroffenen Betrieben zu schließen und die Verantwortlichen über ihre konkreten Pflichten zu informieren. Es zeigte sich jedoch auch, dass die überwiegende Anzahl der Betriebe die erforderlichen Minimierungsmaßnahmen ausreichend umsetzt und damit zur Minimierung der Acrylamidaufnahme durch die Nahrung beiträgt. Die Acrylamid-Richtwerte konnten bis auf wenige Proben eingehalten werden. Besonders erfreulich war das Bild bei den untersuchten Röstkaffees und Frühstückscerealien/-riegeln. In den Fällen, in denen Richtwertüberschreitungen festgestellt wurden, konnte die ausgefüllte Checkliste dazu dienen, kritische Faktoren im Herstellungsprozess aufzuzeigen, die bei der weiteren Optimierung hilfreich sein können. In zwei Fällen erwies sich die weitere Optimierung als erfolgreich, da die im Jahr 2022 untersuchten Nachproben die Richtwerte einhielten.

Die Abbildung zeigt Auszüge einer ausgefüllten Checkliste und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Die Verordnung zur Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln ist dem Betrieb unbekannt und es werden keine Eigenkontrollen durchgeführt. Außerdem ist angegeben, dass reduzierende Zucker in der Rezeptur enthalten sind und Hirschhornsalz als Backtriebmittel verwendet wird. Daraus ergeben sich Optimierungsmöglichkeiten durch Reduzierung oder Ersatz dieser Zutaten.Bild vergrössern

Abbildung 2: Auszug einer Checkliste für Getreideerzeugnisse: Elisenlebkuchen von Kleinunternehmen. Die Checkliste wurde bei der Betriebskontrolle ausgefüllt und am LGL ausgewertet. Daraus geht hervor, ob der verantwortliche Lebensmittelunternehmer seinen Pflichten nachkommt und wo es bei Überschreitung des Acrylamid-Richtwerts Optimierungsmöglichkeiten zur Reduzierung gibt. Bei der betreffenden Probe Elisenlebkuchen ist eine Optimierung durch Reduzierung bzw. Ersatz der Zutaten Fructose und Hirschhornsalz möglich.