Herausforderungen für die Versorgungsforschung am Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth

Univ.-Prof. Dr. Klaus Nagels, Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften (IMG) der Universität Bayreuth

Die Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen, evidenzbasierten und gleichzeitig ökonomisch tragfähigen Gesundheitsleistungen, die dem jeweiligen Stand der Gesundheitswissenschaften entsprechen, wird zunehmend komplexer. Trotz klinischer Forschung zeichnen sich die für Entscheidungen im Kontext der Versorgung verfügbaren wissenschaftlichen Grundlagen durch große Fehlstellen aus. Dies ist oft der Tatsache geschuldet, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zum Teil aus methodischen Gründen nicht unter Bedingungen erhoben werden können, die dem realen Versorgungsgeschehen entsprechen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf Arzneimittel, die im Versorgungsgeschehen eine zentrale Position einnehmen. Die Versorgungsforschung dient in multidisziplinärer Kooperation dem Zweck die Entscheidungsqualität im Hinblick auf Ressourcenallokationen auf ein hohes Qualitätsniveau zu bringen. In der Gesamtschau bestehender Definitionen stellt die Versorgungsforschung ein multidisziplinäres Forschungsgebiet mit Grundlagen- und Anwendungsorientierung dar, das im Hinblick auf vielfältige Einflussfaktoren, wie zum Beispiel soziale Faktoren, Organisationsstrukturen und Prozesse sowie Technologien, untersucht, inwieweit diese Faktoren den Zugang, die Qualität, die Kosten und auch das von den Patienten subjektiv wahrgenommene Behandlungsergebnis beeinflussen. Versorgungsforschung ist damit eine Quelle für die Qualitätsbeurteilung von Versorgungsleistungen auf der Basis zusammengetragener und bewerteter Evidenz. Die Ergebnisse aus der Versorgungsforschung können damit in weiteren Transformationsschritten des Gesundheitssystems maßgeblich für die Entwicklung leistungsorientierter Vergütungssysteme werden (pay-for-performance). Vor dem Hintergrund komplexer Zusammenhänge, zum Teil konträr gelagerter Interessen von involvierten Anspruchsgruppen bedarf es einer Gesundheitssystemarchitektur, die wesentlich auf evidenzbasierten Ressourcenallokationsmechanismen beruht, um so optimale Ergebnisse durch Versorgungsleistungen zu erzielen. Das Spannungsfeld liegt dabei im optimalen Abgleich von Anpassungsvorgängen im Zusammenspiel von Marktmechanismen und staatliche Eingriffen. Nur eine übergeordnete, neutrale wissenschaftliche Untersuchung der Leistungsfähigkeit von Versorgungsleistungen kann dazu beitragen, die notwendigen Anpassungsprozesse möglichst effizient und wirkungsvoll zu gestalten.
Die Versorgungsforschung muss deshalb an Bedeutung gewinnen, zumal Deutschland und viele andere entwickelte Volkswirtschaften insbesondere auch in Europa vor enormen Herausforderungen stehen, die sich aus verschiedenen Spannungsfeldern ergeben. Zu diesen Spannungsfeldern gehören demographische Effekte mit all ihren Facetten, die sowohl in der Alterung der Bevölkerung mit den epidemiologischen Implikationen, aber auch mit dem Rückgang der verfügbaren humanen Ressourcen für die Versorgung von Patienten zu sehen sind. Des Weiteren geht es darum, den wachsenden Zustrom von zum Teil technisch gelagerten Innovationen so zu kanalisieren, dass die viel versprechenden Innovationen zum richtigen Zeitpunkt in die Versorgung implementiert werden können, auch um beispielsweise veraltete Technologie oder Versorgungskonzepte zu ersetzen. Versorgungsforschung gewinnt aber nicht nur wegen bestehender oder sich entwickelnder Knappheit an Bedeutung, sie bietet auch eine Vielzahl von gesundheitswirtschaftlichen Chancen. Diese Chancen bestehen darin, neue, nachweislich innovative Versorgungsleistungen schnell verfügbar zu machen. Während in den produktorientierten Segmenten der Gesundheitswirtschaft dieses Prinzip erfolgreich etabliert ist, bestehen bei Service-orientierten Versorgungsleistungen noch Chancen. Mit Blick auf die Organisation, Governance und Finanzierung stellt sich die Frage, wie Versorgungsforschung aufgestellt sein muss, damit dem Aufwand ökonomisch messbare Effizienz- und Effektivitätssteigerungen gegenüberstehen. Des Weiteren steht die Versorgungsforschung sowie auch die Verwendung und Bewertung ihrer Ergebnisse sowie deren normative Implikationen in einem politischen Spannungsfeld, zumal damit Transparenz geschaffen werden kann, die die Interessen involvierter Anspruchsgruppen beinträchtigen kann.