Risikoanalyse: Morphin und Codein in Mohnsamen für Back- bzw. Speisezwecke

Der jährliche Verbrauch an Mohnsamen zu Back- und Speisezwecken in Deutschland wird auf ca. 8000 t geschätzt . Der in Deutschland verzehrte Speisemohn stammt fast ausschließlich aus dem Ausland. Als wichtigste Erzeugerländer für Backmohn gelten die Türkei, Tschechien, Ungarn, Österreich und Australien. Seit wenigen Jahren wird auch in Deutschland wieder der Versuch unternommen Mohn zur Gewinnung von Mohnsamen für Back- und Speisezwecke (incl. der Gewinnung von Mohnöl) anzubauen.

Die Mohnsamen stammen vom Schlafmohn (Papaver somniferum), also von der gleichen Pflanze, von der auch das Opium (der Milchsaft aus den Fruchtkapseln) gewonnen wird.
1996 hat das Bundessortenamt die morphinarme Mohnsorte Przemko für den landwirtschaftlichen Anbau in Deutschland zugelassen. Grundsätzlich gilt nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG), dass sowohl der Anbau morphinreicher wie auch morphinarmer Sorten genehmigungspflichtig ist. Zuständig für die Genehmigung ist die Bundesopiumstelle beim BfArM in Berlin.
Nach telefonischer Auskunft der Bundesopiumstelle liegen derzeit für Deutschland mehrere Genehmigungen zum Anbau morphinarmen Mohns vor. Probleme bereitet derzeit aber offensichtlich das Saatgut der zugelassenen morphinarmen Sorte Przemko , da der Samen nur unzureichend aufgeht. An einem Nachfolgesamen wird offensichtlich gearbeitet.

Qualitativ hochwertiger Backmohn aus deutscher Erzeugung wird bei den Vermarktern als durchaus interessant angesehen, da ausländische Ware oft schlechtere Qualitäten aufweist. Als Qualitätskriterium gilt dabei insbesondere die Reinheit des Backmohns. Als besonders problematisch bei der Reinigung des Erntegutes wird die Verunkrautung mit Arten, die kleine Samen bilden, z.B. Gänsefuß und Melde, da diese Samen nicht vollständig entfernt werden können, angesehen. Außerdem sollten die Partien nicht mit Pilzen behaftet sein.
Da bei dem Anbau von Mohn keine EU Beihilfe gezahlt wird, gilt eine gute Vermarktung als das A und O beim Verkauf des Backmohns. Gute Preise lassen sich bei der direkten Vermarktung an größere Bäckereiketten erzielen, die oftmals einen Jahresbedarf von 0,5 bis über 1 t haben. Alternativ gilt auch die Vermarktung an Ölmühlen als interessant. Mohnöl ist ein wertvolles Speiseöl mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren, insbesondere Linolsäure.
Inwieweit sich importierte Ware von inländischer Ware im Gehalt an Morphin und Codein unterscheidet, ist nicht bekannt, da dazu bislang keine systematischen Untersuchungen an Hand einer ausreichend großen Zahl an Proben von am Markt befindlicher Ware vorliegen.

Gefahren-Beschreibung und -Charakterisierung:

Morphin ist das Hauptalkaloid des Opiums, Codein gehört zu den Opium-Nebenalkaloiden. Opium ist der an der Luft eingetrocknete Milchsaft unreifer Samenkapseln von Papaver somniferum, dem Schlafmohn. Insgesamt enthält Opium mehr als 20 Alkaloide.
Auch in den Mohnsamen ist Morphin und Codein enthalten, im Vergleich zu den milchsaftführenden Pflanzenteilen von Papaver somniferum aber in deutlich geringeren Konzentrationen.

Morphin und Codein werden therapeutisch als Analgetika (Arzneistoffe gegen Schmerzen), Codein auch als Antitussivum (Arzneistoff gegen Husten) eingesetzt.

Beide Stoffe wirken als volle Agonisten an Opioid-Rezeptoren (vor allem an µ-Opioid-Rezeptoren). Durch Stimulation der in hoher Dichte im ZNS befindlichen Opioid-Rezeptoren bewirken beide Stoffe eine starke Dämpfung der Schmerzempfindung (starke zentral analgetische Wirkung), Codein bewirkt zudem über den Angriff an zentralen Opioid-Rezeptoren eine Dämpfung des Hustenzentrums (zentrale antitussive Wirkung). Neben der analgetischen Hauptwirkung resultieren aus dem Angriff an den zentralen Opioid-Rezeptoren eine Reihe weiterer Wirkungen, die bei therapeutischer Dosierung als unerwünschte Begleitwirkungen (Nebenwirkungen) besonders initial (zu Beginn der Therapie) auftreten können:

  • Atemdepressorische Wirkung: Dämpfung des Atemzentrums im Gehirn mit Verminderung der Atemfrequenz und der Tiefe der Atmung. Säuglinge und Kinder reagieren besonders empfindlich. Dies ist die wichtigste und zugleich gefährlichste Nebenwirkung von Morphin und Codein. Überdosierung bzw. Intoxikation mit Morphin bzw. Codein kann zum Tod durch zentrale Atemlähmung führen (siehe unten).
  • Sedative Wirkung: Reduktion der geistigen Aktivität (Verminderung von Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Reaktionsvermögen). Dies kann unter anderem dazu führen, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Strassenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt oder nicht mehr gegeben ist.
  • Emetischer Effekt: vor allem zu Beginn einer Therapie können häufig (40-60% der Fälle) Übelkeit und Erbrechen ausgelöst werden.
  • Miotische Wirkung (Verengung der Pupille und dadurch Verschlechterung der Sehfähigkeit)
  • Euphorisierende Wirkung, aber auch dyphorische Reaktionen sind möglich.

Da Opioid-Rezeptoren außer im ZNS auch in vielen peripheren Organen exprimiert werden, bewirken Morphin und Codein bei therapeutischer Dosierung zudem unter anderem folgende peripher bedingte Wirkungen:

  • Verzögerung der Magenentleerung durch Pyloruskontraktion,
  • Erhöhung des Tonus der glatten Muskulatur des Magen-Darmtraktes und Reduktion der Darmmotilität (spastische Obstipation),
  • Steigerung des Tonus der Harnblasenmuskulatur und des Blasenschließmuskels (Harnverhalt mit der Gefahr der Blasenruptur),
  • Verringerung des Tonus der Blutgefäße mit der Gefahr orthostatischer Reaktionen

Morphin und Codein passieren die Placentabarriere und haben in Tierversuchen teratogene Wirkungen gezeigt. Bei Mäusen und Hamstern sind nach einmaliger Verabreichung (Tag 8 der Schwangerschaft) hoher Morphin-Dosen (300-400 mg/kg KG) während der Organogenesephase ZNS-Defekte (Exencephalie, Kranioschisis) ausgelöst worden. Nicht teratogen waren dagegen in Versuchen an Ratten Dosen von 10 bzw. 20 mg Morphin/kg KG bei Gabe vor und während der Organogenesephase. Bei Gabe von 35 mg Morphin/kg KG traten bei den Nachkommen Wachstumsverzögerung und eine erhöhte Mortalität auf.
Bei zweimal täglicher Gabe von 50 mg Codein/kg KG an trächtige Hamster trat bei den Feten eine signifikante Reduktion des Körpergewichts auf. Als NOEL für die Embryo- und Fetotoxizität von Codein wurde in dieser Studie eine Dosis von 10 mg/kg KG, zweimal täglich gegeben, ermittelt. Bei Mäusen trat erst bei zweimal täglicher Gabe von 150 mg Codein/kg KG eine signifikante Gewichtsreduktion bei den Feten auf. Als NOEL für Embryo- und Fetotoxizität wurden in der Mäusestudie 75 mg/kg KG, 2 mal täglich, ermittelt.

Wird Morphin oder Codein kurz vor der Geburt in therapeutischen Dosen gegeben, kann es beim Neugeborenen zur Atemdepression kommen. Bei längerer, regelmäßiger Einnahme von Morphin oder Codein als Arzneimittel am Ende der Schwangerschaft können nach der Geburt beim Neugeborenen Entzugserscheinungen auftreten. Das Bestehen einer Schwangerschaft gilt als absolute Kontraindikation für den therapeutischen Einsatz von Morphin. Codein darf während der Schwangerschaft nur nach strenger Indikationsstellung und sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung angewendet werden.

Morphin und Codein werden mit der Muttermilch ausgeschieden. Da das Atemzentrum von Neugeborenen und Säuglingen besonders empfindlich auf Morphin und Codein reagiert, sollte während der Stillzeit kein therapeutischer Einsatz von Morphin erfolgen bzw. wird bei Gabe von Morphin in therapeutischen Dosen vom Stillen dringend abgeraten.. Bei einmaliger Anwendung von Codein in therapeutischer Dosis während der Stillzeit ist eine Gefährdung des Säuglings unwahrscheinlich. Wiederholte Behandlungen mit hohen Codein-Dosen während der Stillzeit können jedoch beim Säugling unerwünschte Wirkungen verursachen.

Es liegen einzelne in-vitro und in-vivo Tests vor, die Hinweise darauf liefern, dass Morphin möglicherweise mutagene Eigenschaften besitzt. Nach i.p. Applikation an Mäusen wurden in Zellen aus dem Knochenmark der behandelten Tiere signifikant vermehrt Chromosomenaberrationen und Mikronuclei gefunden. In einem in-vitro Testsystem mit humanen Lymphozyten wurde DNA-Schädigung und erhöhte Mutationsfrequenz nach Einwirkung von Morphin festgestellt. In anderen Testsystemen (Drosophila melanogaster, Ames Test mit Salmonella typhimurium, Hefezellen) löste Morphin dagegen keine Mutagenität aus. Der Mechanismus der Mutagenität ist unbekannt.
Langzeituntersuchungen zur Kanzerogenität von Morphin liegen nicht vor.
Insgesamt ist die Datenlage zur Mutagenität und Kanzerogenität von Morphin sehr lückenhaft, so dass eine zuverlässige Bewertung dieser Eigenschaften der Substanz nicht möglich ist. Bei morphinhaltigen Arzneimitteln wird wegen der vorliegenden Hinweise auf mögliche Mutagenität der Substanz darauf hingewiesen, dass Morphin Männern und Frauen im zeugungs- und gebärfähigen Alter nur dann verabreicht werden soll, wenn eine wirksame Verhütung sichergestellt ist.
Codeinphosphat bewirkte im in-vitro System mit CHO-Zellen, mit und ohne S9 Mix dosisabhängig einen Anstieg des Schwester-Chromatid-Austausches (SCE-Test). Im Ames Test mit Salmonella typhimurium zeigte die Substanz bei keinem von vier Stämmen einen mutagenen Effekt. In 2 Jahres Studien zur Kanzerogenität ergab sich weder bei Mäusen noch bei Ratten ein Hinweis auf Kanzerogenität von Codein.

Die akute Opioid-Vergiftung ist durch tiefes Koma mit oberflächlicher bis fast fehlender Atmung und maximaler Verengung der Pupillen (typische Trias: Bewusstlosigkeit, Atemdepression und Miosis) gekennzeichnet. Der Tod erfolgt meist durch zentrale Atemlähmung. Die Letaldosis für Morphin beim gesunden, nicht opiatabhängigen Erwachsenen wird mit 100 mg bei parenteraler Gabe und 300 - 1000 mg bei oraler Aufnahme angegeben.
Ausgehend von 300 mg und bezogen auf 70 kg KG resultiert für Erwachsene demnach für die akute, orale Aufnahme von Morphin eine LDlo von 4,28 mg/kg KG.
Für Säuglinge wird angegeben, dass schon 2-10 Tropfen Opiumtinktur tödlich sein können. (Opiumtinktur enthält 1% Morphin. Davon ausgehend, dass 2 Tropfen der Tinktur ca. 0,1 ml entsprechen, würde sich für einen 4 kg schweren Säugling bei akuter, oraler Gabe eine niedrigste Letaldosis (LDlo) von 0,25 mg/kg KG ergeben).

Für Codein wird die Letaldosis bei oraler Aufnahme mit 500 bis 1000 mg angegeben. Bezogen auf 70 kg KG resultiert daraus für die akute orale Aufnahme bei Erwachsenen eine LDlo von 7,14 mg/kg KG.
Bei Kindern muss bei oraler Aufnahme von Codein altersabhängig ab 2mg/kg KG mit ernsten toxischen Effekten (z.B. schwerwiegenden Atemstörungen) gerechnet werden.

Tabelle 1: Für Morphin in nicht retardierter Arzneiform (z. B. Morphin Merck Tropfen) werden für die therapeutische Verwendung folgende Einzel- bzw. Tagesdosen empfohlen:
Alter Einzeldosis Tagesgesamtdosis
0 - 1 Jahre 0,2 mg/kg 1,2 mg
2 - 5 Jahre 2,5 - 5 mg 15 - 30 mg
6 - 12 Jahre 5,0 - 10,0 mg 30 - 60 mg
13 - 16 Jahre 10,0 - 20,0 mg 60 - 120 mg
über 16 Jahre 10,0 - 60,0 mg 60 - 360 mg
Tabelle 2: Für Codein gelten die folgenden Empfehlungen für die Einzel- und Tagesmaximaldosis:
Alter Einzeldosis Tagesgesamtdosis
2 - 6 Jahre 2,4 - 4 mg 28 mg
6 - 12 Jahre 4,8 - 14,4 mg 56 mg
13 - 16 Jahre 16 - 40 mg 184 mg

Wie oben bereits erwähnt können bei den empfohlenen therapeutischen Dosen bereits unerwünschte Begleitwirkungen (Nebenwirkungen) wie z. B. Atemdepression, Sedation, Übelkeit und Erbrechen auftreten.

Kinetik:

Morphin wird nach oraler Aufnahme relativ rasch aus dem Magen-Darmtrakt resorbiert. 30-90 Minuten nach oraler Aufnahme tritt die maximale Wirkung ein. Die Wirkungsdauer beträgt ca. 4-5 Stunden. Die geringe Bioverfügbarkeit (20-40%) nach oraler Aufnahme ist auf einen ausgeprägten First-Pass-Effekt zurückzuführen. Morphin wird in der Darmmucosa und in der Leber hauptsächlich zu Morphin-3-Glucuronid und Morphin-6-Glucuronid metabolisiert.
Das Morphin-6 Glucuronid ist biologisch wirksam (Agonist an µ-Opioid-Rezeptoren).
Ca. 80% des oral aufgenommenen Morphins werden im Harn wiedergefunden (10% unverändertes Morphin, 65% als Glucuronide und 4% Normorphin). Etwa 10% der Morphin-Glucuronide werden über die Galle mit den Faeces ausgeschieden und unterliegen einem enterohepatischen Kreislauf.
Die Eliminationshalbwertzeit von Morphin ist relativ kurz und liegt durchschnittlich zwischen 1,7 und 4,5 Stunden.

Codein wird nach oraler Aufnahme ebenfalls rasch aus dem MDT resorbiert. Die maximale Plasmakonzentration ist nach ca. 1 Stunde erreicht. Die Wirkungsdauer beträgt 4-6 Stunden. Ca. 10% des aufgenommenen Codeins werden zu Morphin demethyliert, was zur analgetischen Wirkung des Codeins beiträgt.
Weitere Hauptmetaboliten sind Norcodein sowie Morphin- und Codeinkonjugate. Die Ausscheidung erfolgt im Wesentlichen über die Nieren in Form der Codein- und Morphinkonjugate. Etwa 10% des Codeins werden unverändert renal ausgeschieden.
Die Eliminationshalbwertszeit ist ähnlich kurz wie beim Morphin und liegt bei durchschnittlich 3-5 Stunden.

Expositions- und Risikoabschätzung:

Für den Fall eines Speisemohns mit einem hohen Gehalt von 0,1% Morphin und 0,003 % Codein, der kürzlich in Zusammenhang mit der akuten Vergiftung eines Säuglings entdeckt wurde, ergibt sich folgende Bewertung:
Ausgegangen wird von einem typischen Rezept für Mohnkuchen, wonach für die Füllung des Kuchens neben anderen Zutaten 400 g Mohnsamen verwendet werden, welcher gemahlen in kochender Milch 10 Minuten quellen soll. Die Milch wird abgeseiht und danach der Mohn mit anderen Zutaten zur Füllung des Kuchens vermischt. Der Kuchen wird bei 200°C ca. 35 Minuten gebacken. Da keine Erkenntnisse darüber vorliegen, wie viel Morphin und Codein nach dem Abseihen der Milch sowie nach dem Backen in der Mohnfüllung des Kuchens noch vorhanden sind, wird im Sinne einer worst case Betrachtung davon ausgegangen, dass der in der Füllung des Kuchens enthaltene Mohn den Ausgangsgehalt von 0,1% Morphin und 0,003% Codein enthält. Der gesamte Kuchen enthält danach 0,4 g Morphin und 0,012 g Codein. Wird der Kuchen in 16 Stücke zerteilt, enthält jedes Stück 25 mg Morphin und 0,75 mg Codein.

Zum Vergleich eine als Arzneimittel zur Schmerzbehandlung von Erwachsenen verwendete Morphintablette enthält in der niedrigsten Dosierung nur 10 mg Morphin; eine Codeintablette 30 mg Codein.

Ein Kleinkind im Alter von 4-5 Jahren würde beim Verzehr eines Stücks des Mohnkuchens die fünffache Menge der für diese Altersgruppe maximal empfohlenen Einzeldosis von 5 mg Morphin aufnehmen. Selbst bei der Annahme, dass nach Abseihen der Milch und dem Backen der in der Füllung vorliegende Mohn nur noch 50% seines ursprünglichen Gehaltes aufweist, wäre die maximal empfohlene therapeutische Einzeldosis für Kleinkinder immer noch um den Faktor 2,5 überschritten.
Würde das 4-5 jährige Kleinkind am selben Tag noch ein weiteres Stück Mohnkuchen verzehren, würde eine Tagesaufnahmenge von 50 mg resultieren, welche die maximal empfohlene Tagesgesamtdosis von 30 mg um den Faktor 1,67 überschreitet.
Ausgehend von der deutlichen Überschreitung der maximal empfohlenen Einzeldosis und auch der maximal empfohlenen Tagesgesamtdosis ist davon auszugehen, dass beim Kleinkind durch den einmaligen Verzehr eines Stücks des Mohnkuchens oder auch von 2 Stücken am Tag akut gesundheitliche Schädigungen wie Atemstörungen, Sedation (Müdigkeit Benommenheit, Reduktion von Reaktions und Konzentrationsfähigkeit) oder das Auftreten von Übelkeit und Erbrechen ausgelöst werden können.
Der Abstand zwischen der LDlo (oral) von 4,28 mg/kg KG, die beim Erwachsenen bereits zum tödlichen Atemstillstand führen kann, und der beim Kleinkind (16 kg KG) durch den Verzehr eines Stücks des Mohnkuchens resultierenden Morphinaufnahme von 1,56 mg /kg KG ist so gering, dass eine akut auftretende, schwerwiegende Störung des Atemzentrums beim Kleinkind nicht ausgeschlossen werden kann. Dies gilt insbesondere deshalb, da im Vergleich zu Erwachsenen für Säuglinge und Kleinkinder von einer erhöhten Empfindlichkeit des Atemzentrums gegenüber Morphin auszugehen ist.

Ein Erwachsener würde beim Verzehr von 2 Stücken des Mohnkuchens 50 mg Morphin aufnehmen; eine Menge, die im oberen Bereich der therapeutisch empfohlenen Einzeldosis liegt. Beim Verzehr eines weiteren Stücks im Laufe des Tages ergäbe sich eine Tagesaufnahmemenge von 75 mg Morphin. Diese Menge liegt im unteren Bereich der therapeutisch empfohlenen Tagesgesamtdosis. Insgesamt ergibt sich damit für Erwachsene, dass beim einmaligen Verzehr des Mohnkuchens oder auch beim Verzehr an einem Tage Morphin in einer Menge aufgenommen wird, die im therapeutischen Dosierungsbereich angesiedelt ist. Es ist daher davon auszugehen, dass neben einer analgetischen Wirkung auch die Gesundheit beeinträchtigende Wirkungen wie z.B. Störungen der Atemfunktion, Sedation (Müdigkeit, verminderte Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit) sowie Übelkeit und Erbrechen ausgelöst werden können.
Der Abstand der beim einmaligen Verzehr von 2 Stücken des Mohnkuchens aufgenommenen Menge von 50 mg Morphin zur LDLo von 300 mg beim Erwachsenen ist mit Faktor 6 so groß, dass letale Wirkungen durch den Verzehr nicht zu erwarten sind. Aber der Abstand ist andererseits so gering, dass bei Erwachsenen in Einzelfällen atemdepressorische Effekte nicht ausgeschlossen werden können.

Bezüglich Codein würde ein Kleinkind (4-5 Jahre) beim Verzehr eines Stücks des Kuchens 0,75 mg Codein aufnehmen, was um den Faktor 3,2 unter der geringsten therapeutisch empfohlenen Einzeldosis für die Altersgruppe der Kleinkinder liegt. Würde das Kleinkind im Laufe desselben Tages noch ein weiteres Stück des Kuchens verzehren, ergäbe sich eine Tagesaufnahmemenge an Codein von 1,5 mg, welche um den Faktor 18,7 unter der therapeutisch empfohlenen Tagesmaximaldosis läge.
Der Abstand zwischen der Dosis von 2 mg/kg KG, ab der mit ernsten toxischen Effekten bei oraler Aufnahme gerechnet weden muß und der Dosis von 0,047 mg/kg Kg, die sich beim Kleinkind (16 kg KG) durch den Verzehr eines Stücks des Kuchens ergibt, ist mit Faktor 42,5 so groß, dass das Auftreten ernster toxischer Effekte ausgeschlossen werden kann.
Ein Erwachsener würde beim Verzehr von 2 Stücken des Mohnkuchens 1,5 mg Codein aufnehmen, was um den Faktor 10,7 unter der geringsten für Erwachsene empfohlenen Einzeldosis liegt. Zur geringsten Letaldosis von 500 mg Codein bei oraler Aufnahme bestände ein Abstand von Faktor 333. Würde der Erwachsene im Laufe des Tages ein weiteres Stück des Kuchens verzehren, ergäbe sich eine Tagesaufnahmemenge von 2,25 mg Codein, welche die therapeutisch empfohlene Tagesmaximaldosis um den Faktor 82 unterschreitet.
Insgesamt kann bei den errechneten Abständen davon ausgegangen werden, dass von dem mit 0,003% im Mohnsamen enthaltene Codein beim Verzehr des Mohns keine Gesundheitsschädigung ausgeht.

Zusammenfassend ergibt sich:

Es ist davon auszugehen, dass Speisemohn mit einem Gehalt von 0,1% Morphin geeignet ist, beim Verzehr in üblicher Menge die Gesundheit zu schädigen. Speisemohn mit einem Gehalt von 0,1% Morphin wäre damit als nicht sicher gemäß Art. 14 EG Verordnung Nr. 178/2002 zu beurteilen und dürfte nicht in den Verkehr gebracht werden. Dagegen ist nicht zu erwarten, dass von dem gleichzeitig mit einem Gehalt von 0,003% enthaltenen Codein eine Gesundheitsgefährdung ausgeht.

Für Speisemohn mit geringem Morphingehalt (1/100 des Gehaltes von 0,1% =10 mg/kg) stellt sich die Situation wie folgt dar:
Mit einem Stück des oben beschriebenen Mohnkuchens würden 0,25 mg Morphin aufgenommen. Für ein Kleinkind (4-5 Jahre alt) läge diese Menge um den Faktor 10 unterhalb der niedrigsten für Kleinkinder empfohlenen therapeutischen Einzeldosis. Beim Verzehr eines weiteren Stücks des Mohnkuchens im Laufe des Tages ergäbe sich eine Tagesaufnahme von 0,5 mg Morphin, welche 1/30 der niedrigsten für Kleinkinder empfohlenen therapeutischen Tagesgesamtdosis von 15 mg beträgt. Der Abstand von Faktor 10 zur niedrigsten therapeutisch empfohlenen Einzeldosis bzw. von Faktor 30 zur niedrigsten therapeutisch empfohlenen Tagesgesamtdosis ist so groß, dass selbst für besonders empfindlich auf Morphin reagierende Kleinkinder davon ausgegangen werden kann, dass weder ein therapeutischer (analgetischer) Effekt noch die Gesundheit beeinträchtigende Effekte beim Verzehr des Mohnkuchens auftreten. Auch ein euphorisierender Effekt ist nicht zu erwarten.

Beim Erwachsenen, der 2 Stücke des Mohnkuchens auf einmal verzehrt, läge die Aufnahmemenge an Morphin (0,5 mg) 1/20 unter der niedrigsten therapeutisch empfohlenen Einzeldosis für Erwachsene von 10 mg. Beim Verzehr eines weiteren Stücks im Laufe des Tages würde ein Tagesaufnahmemenge an Morphin von 0,75 mg resultieren, welche 1/80 unter der niedrigsten therapeutisch empfohlenen Tagesgesamtdosis von 60 mg gelegen wäre. Bei diesen Abständen zum therapeutischen Dosisbereich ist davon auszugehen, dass weder eine therapeutische (analgetische) Wirkung noch die Gesundheit beeinträchtigende Effekte beim Verzehr des Kuchens auftreten. Auch ein euphorisierender Effekt ist nicht zu erwarten.

Für eine schwangere Frau (60 kg KG) ergäbe sich beim Verzehr von 2 Stücken des Mohnkuchens an einem Tag eine Aufnahme von 0,008 mg Morphin/kg KG. Diese Menge ist um den Faktor 1250 kleiner als die Menge von 10 mg/kg KG, die sich bei der Ratte bei täglicher Gabe in der Organogenesephase als nicht teratogen erwies. Bei diesem Abstand zu einem NOEL im Tierversuch kann davon ausgegangen werden, dass der Verzehr von Mohnkuchen mit einem Morphin-Gehalt von 10 mg/kg im Mohn während der Schwangerschaft unbedenklich ist. Bei der geringen Höhe des Morphin-Gehaltes von 10 mg/kg ist ebenfalls davon auszugehen, dass beim gelegentlichen Verzehr von Mohnkuchen am Ende der Schwangerschaft oder während der Stillzeit keine Atemdepression und auch keine Entzugserscheinungen beim Neugeborenen hervorgerufen werden.

Da im Vergleich zum Mohnkuchen, dessen Füllung 400 g Mohn enthält, andere Lebensmittel (z.B. Mohnbrötchen) deutlich geringere Mohnmengen enthalten, und somit beim Verzehr dieser Lebensmittel deutlich geringere Mohnmengen als beim Verzehr von Mohnkuchen aufgenommen werden, stellt die obige Abschätzung am Beispiel des Verzehrs von Mohnkuchen den ungünstigsten Fall dar. Es kann daher für alle Mohn enthaltenden Lebensmittel davon ausgegangen werden, dass Speisemohn mit einem Morphin-Gehalt von 10 mg/kg beim Verzehr in üblichen Mengen für den Verbraucher gesundheitlich unbedenklich ist.

Bei höheren Gehalten, z.B. von 50 mg/kg, resultieren dagegen bei einmaliger Aufnahme von 1 Stück Mohnkuchen durch ein Kleinkind bzw. von 2 Stücken durch einen Erwachsenen Aufnahmemengen, die für das Kleinkind nur um den Faktor 2 und für den Erwachsenen nur um den Faktor 4 von der niedrigsten empfohlenen therapeutischen Einzeldosis entfernt sind. Selbst bei Berücksichtigung dass der Morphin-Gehalt durch küchentechnische Vorgänge (Kochen in Milch und Abseihen, Backen etc.) noch reduziert werden kann, sind die Abstände zum therapeutischen Dosisbereich so gering, dass bei Kleinkindern und Erwachsenen, die besonders empfindlich auf Morphin ansprechen, nicht ausgeschlossen werden kann, dass gesundheitsschädigende Effekte (z.B. Übelkeit und Erbrechen, Atemdepression, Sedation) hervorgerufen werden.

Insgesamt ergibt sich nach dem gegenwärtigen Stand der Kenntnisse, dass Speisemohn mit einem Morphin-Gehalt von < 10 mg/kg beim Verzehr in üblichen Mengen gesundheitlich unbedenklich und damit als sicher für die Verbraucher (einschließlich Kinder, Schwangere und Stillende) anzusehen ist. Der Wert von 10 mg/kg wird als Beurteilungsgrundlage für Speisemohn vorgeschlagen. Speisemohn mit Gehalten über 10 mg/kg sollte aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes auch unter Beachtung des Vorsorgeaspektes nicht in den Handel gelangen. Bei Überschreitung des Richtwertes kann nicht mehr mit ausreichender Sicherheit gewährleistet werden, dass beim Verzehr des Speisemohns keine die Gesundheit schädigenden Effekte auftreten.

Wegen der unzureichenden Datenlage zur Mutagenität und der fehlenden Datenlage zur Kanzerogenität von Morphin, ist die hier vorgenommenen Bewertung als vorläufig anzusehen. Sollte in Zukunft durch neue Studien belegt werden, dass Morphin mutagen und kanzerogen ist und nicht mehr gewährleistet ist, dass der abgeleitete Richtwert von 10 mg /kg die Gesundheit der Verbraucher ausreichend schützt, wäre ein neuer Richtwert abzuleiten.

Da das gleichzeitig im Mohnsamen enthaltene Codein im Vergleich zum Morphin-Gehalt regelmäßig in deutlich geringerer Konzentration enthalten ist und keine höhere Toxizität als Morphin besitzt, ist bei Einhaltung des Beurteilungswertes von 10 mg/kg Morphin gewährleistet, dass vom zusätzlich enthaltenen Codein keine Gesundheitsschädigung ausgeht und dieses auch nicht in relevanter Weise die Toxizität des Morphins verstärkt.

Vorliegende Veröffentlichungen, die im Wesentlichen aus dem Zeitraum 1982-1998 stammen, weisen darauf hin, dass der Morphingehalt von handelsüblichem Speisemohn starken Schwankungen unterliegt; es wurden Gehalte von 0,5 - 450 mg/kg gefunden. Bei einer Reihe von Proben lagen die Morphin-Gehalte über dem hier abgeleiteten Beurteilungswert von 10 mg/kg, in einzelnen Proben wurden sogar Gehalte von mehr als dem 10 bzw. 20fachen des Beurteilungswertes nachgewiesen. Bei einer Untersuchung aus dem Jahr 2003 lag der Morphingehalt bei 7 von 8 handelsüblichen Mohnproben unter 10 mg/kg , eine Probe lag mit 151 mg/kg deutlich über dem Beurteilungswert [30]. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass sich möglicherweise auch derzeit Speisemohn im Handel befindet, welcher beim üblichen Verzehr als Lebensmittel (z.B. als Mohnkuchen) auf Grund seines hohen Morphin-Gehaltes geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen und damit als nicht sicher gemäß Art 14 EG VO Nr. 178/2002 zu bewerten wäre.

Einzelne Autoren erklären die derzeitigen erhöhten Morphin-Gehalte in Mohnprodukten mit einer in den letzten Jahren neu aufgekommenen maschinellen Erntetechnik, bei der die Mohnkapseln gequetscht und dabei möglicherweise mit dem alkaloidhaltigen Milchsaft kontaminiert werden. Die geänderte Erntetechnik ist besonders beim Schließmohn - einer Rasse des Schlafmohns - erforderlich, dessen Samenkapseln auch nach der Reifung im Gegensatz zu denen primitiverer Mohnformen geschlossen bleiben. So werden höhere Ernteerträge als beim Schüttmohn erzielt, bei dem die Samenkapseln per Hand oder maschinell ausgeschüttelt werden.