Herausforderungen für die Versorgungsforschung am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin im Klinikum der Universität München

Prof. Dr. med. Nowak, Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Universität München:

Die Versorgungsforschung im Bereich der Realisation von gesundheitsfördernden Interventionen zielt auf einen Wissenstransfer, in dem wissenschaftliche Theorien in die Praxis umgesetzt und deren Wirksamkeit wissenschaftlich evaluiert werden. Jedoch wird die Erprobung grundlagenorientierter Theorien und die Evaluation der Kausalität von Modellen in der realen Welt immer eine große Herausforderung bleiben. Dies liegt - neben der Unterschiedlichkeit der Menschen - an einer Vielzahl von externen Einflussfaktoren, die sich im Umfeld der arbeitsmedizinischen Forschung durch organisationale Akteure und Prozesse ergeben, an vorgegebenen Strukturen und diversen Unberechenbarkeiten. Selbst gut implementierte und evaluierte Programme sind nicht auf jegliche neue Situation übertragbar. Eine „one-fits-all“ Lösung ist nicht gegeben, vielmehr müssen zielgruppenspezifische Ansätze und Maßnahmen realisiert werden. Dies erfordert jedoch zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen sowie die Bereitschaft aller Beteiligten – der Teilnehmer, Praxispartner, Wissenschaftler und Förderer – diese zu investieren. Gerade im Bereich der Förderung von Arbeitslosen oder sozial benachteiligten Menschen, aber auch im Bereich der Pflege, fehlt es häufig an Spielräumen und finanziellen Mitteln. Hinzu kommt, dass Maßnahmen idealerweise alters- und geschlechtsspezifisch orientiert sein sollten und darüber hinaus auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmer, ob in Rehabilitations-Maßnahmen oder Fördermaßnahmen von Langzeitarbeitslosen, eingehen sollten. Vor dem Hintergrund der begrenzten Möglichkeiten erfordert dies kreative und vor allem partizipative Vorgehensweisen.

Eine weitere Herausforderung ist der Zugang bzw. Kontakt zur Zielgruppe – gerade im Bereich sozial benachteiligter Gruppen aber auch in deutlich anders gelagerten Kontexten wie etwa dem „abgeschotteten Milieu“ eines OPs. Damit mittel- und unmittelbar gesundheitsfördernde Maßnahmen nachhaltig implementiert werden können, sollten Gesundheitsinterventionen möglichst setting-basiert sein, also in der Arbeits-, Wohn- und/oder Freizeitwelt der Teilnehmer stattfinden. Hierfür muss eine enge Zusammenarbeit mit den jeweiligen Praxispartnern gegeben sein sowie gegebenenfalls eine Vernetzung verschiedenster Strukturen und Akteure herbeigeführt werden. Dieser hohe Aufwand stellt eine zentrale Herausforderung der Versorgungsforschung dar, der oft weder monetär noch wissenschaftlich angemessen gewürdigt wird. Gerade die Entwicklung von Maßnahmen zur Verstetigung evidenzbasierter Interventionen, etwa mittels train-the-trainer Programmen oder Handreichungen für die Praxis (Leitfäden, Checklisten und vieles mehr) sollte von Beginn an eine wichtige Rolle in Projekten spielen.

Die Umsetzung von Studien und Projekten im Setting erfordert zudem die Integration in vorhandene Strukturen. Jede Einrichtung – von Arbeitsagenturen bis Krankenhäuser – hat jedoch ihre eigene Kultur, Arbeitsweise und Hierarchie, was die Implementierung zusätzlich erschwert. Partizipative Vorgehensweisen in der Implementierung und Gestaltung der Maßnahme fördern die Passung zu gegebenen Strukturen und die Motivation zur Teilnahme, selbst wenn sie die Implementierung zunächst verzögern. Die Einbettung von Interventionen in den Arbeitsalltag sollte daher mit dem ganzen Team und der Führungsebene geplant werden. Darüber hinaus muss mit Beeinträchtigungen der Makroebene gerechnet werden, wie staatlich gesteuerten Reformen, welche die Implementierung erleichtern, aber auch erheblich erschweren können. Personelle und finanzielle Einschnitte im Sozial- und Gesundheitssektor erschweren die Umsetzung von Interventionsprojekten deutlich. Eine Beeinflussung der Faktoren auf Makroebene findet häufig leider nur in einer Analyse und Anpassung der Intervention an die gegebenen Umstände statt.

Eine weitere Herausforderung liegt in der Wahl des Studiendesigns. Aus ethischen und organisatorischen Gründen sind in der praxisnahen Forschung randomisierte Kontrollstudien nicht immer umsetzbar. Hierdurch wird die Qualität der Evaluationsergebnisse beeinträchtigt. Es ist dringend erforderlich, praxisnahe Studiendesigns zu entwickeln, die in ihrer Aussagekraft an den „Goldstandard“ heranreichen. Hinzu kommt, dass partizipative Elemente in der individuellen Umsetzung eine Vergleichbarkeit oft erschweren. Daher sind Prozessevaluationen zwingend notwendig, um die Ergebnisse zu interpretieren und Empfehlungen für die Praxis und weitere Projekte zu liefern.